03/10/2009
03/10/2009

Sabine Breitwieser, Kuratorin der diesjährigen herbst-Ausstellung „Utopie und Monument”. Fotoausschnitt: Maria Ziegelböck

Internationales Festival “The Theatre”, Festivalzentrum steirischer herbst 2007, am Karmeliterplatz 2007. Foto: Paul Ott

Serge Spitzer “Brunnenwerk”. Foto: steirischer herbst

Um von einem Denkmal zum Denken angeregt zu werden, muss man darüber stolpern. Doch selbst avancierteste Arbeiten im öffentlichen Raum verkommen mit Zeit und Gewöhnung zu Dekoration. Ist die beste Kunst außerhalb von Galerien und Museen deshalb temporär? Und sollte sie den öffentlichen Raum vor allem als Fiktion, als ortlose Ausdehnung im dialogischen Netz der Befindlichkeiten begreifen? Sabine Breitwieser, Kuratorin der diesjährigen herbst-Ausstellung „Utopie und Monument”, Horst Gerhard Haberl, Ex-Intendant des steirischen herbst, und Veronica Kaup-Hasler, Intendantin des steirischen herbst, im Gespräch über künstlerische Strategien und Anliegen jenseits des White Cube.

Veronica Kaup-Hasler: Der Begriff des öffentlichen Raums hat sich in den letzten 20 Jahren stark gewandelt und nicht zuletzt durch das Internet sehr erweitert. Was heißt es also heute, im öffentlichen Raum zu arbeiten?

Sabine Breitwieser: Als ich gefragt wurde, eine Ausstellung für den herbst zu machen, war mein spontaner Impuls, dorthin zurückzukehren, wo ich wesentliche Wurzeln des Festivals sehe: eben in den öffentlichen Raum. Und dort Projekte zu realisieren sowie durch Debatten und Diskurse Öffentlichkeiten zu mobilisieren. Wichtig war mir, dass diese Ausstellung nicht nur im öffentlichen Raum stattfindet, sondern sich diesen selbst zum Thema macht und welche Rolle die Kunst darin einnehmen soll. In „Utopie und Monument“ wird in diesem Jahr seine zunehmende Privatisierung hinterfragt, seine Nutzung durch unterschiedliche Interessenten, die oft so weit greift, dass andere Öffentlichkeiten diesen Raum für sich kaum mehr definieren oder wahrnehmen können. In Graz beispielsweise nutzen kommerzielle und politische Interessensgruppen den öffentlichen Raum, den physischen Stadtraum, allerorts für sich. Er ist völlig besetzt, möbliert bis in die letzten Nischen. Eines unserer Projekte zu diesem Thema ist eine riesige Skulptur vor dem Portikus des Rathauses am Grazer Hauptplatz: ein Vorhang, der von dem argentinischen Künstlerpaar Dolorez Zinny & Juan Maidagan entwickelt wird. Diese Großskulptur thematisiert an dieser Stelle Politik und repräsentative Demokratie, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft als Schnittstelle von Bühne, Backstage und Zuschauerraum. Diese Bereiche werden in ein ambivalentes Verhältnis gesetzt, denn was ‚vorne‘ oder ‚hinten‘ ist, bleibt unklar, und das noch dazu bei einem Gebäude, in dem quasi die Demokratie in die Hände von gewählten Repräsentanten gelegt wurde.

Horst Gerhard Haberl: Aber der öffentliche Raum ist doch eine Fiktion. Er ist das jeweilige Ergebnis aus der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Interessensträgern. Der öffentliche Raum ist eine Projektion des vermeintlichen Außen im Gegensatz zu einem vermeintlichen Innen. Er ist eine Metapher für das Sichtbare gegenüber dem Unsichtbaren. Der öffentliche Raum ist überall. Er ist eine ortlose Ausdehnung im dialogischen Netz öffentlicher wie privater Befindlichkeiten. Die zunehmende Verkleinerung der Stadt durch Möblierung ist tatsächlich auffällig, vor allem für jemanden, der so selten nach Graz kommt wie ich jetzt. Ich habe immer noch ein Schluüsselprojekt im Kopf, das wir 1990 realisiert haben: das Projekt Fischplatz. Wir hatten dem Andreas-Hofer-Platz seinen alten Namen wiedergegeben – in Erinnerung an dessen ursprüngliche Bezeichnung als Treffpunkt der Fischer an der Mur. Ich konnte damals den Designer Andreas Brandolini gewinnen, der sich mit Freunden wie Eichinger und Knechtl, Axel Kufus, Jasper Morrison, Günter Zamp Kelp und Norbert Radermacher gerade diesen Platz zur städtischen Intervention ausgewählt hat. Es ging darum, ihn vor der Möblierungswut der Stadtverwaltung zu retten und die Demontage der diesen Umschlagplatz des öffentlichen Verkehrs charakterisierenden runden Tankstelle aus den 1960er Jahren zu verhindern. Und tatsächlich steht die Tankstelle immer noch.

Sabine Breitwieser: Ursprünglich wollte ich am Hauptplatz vor dem Rathaus einen zentralen Ausstellungspavillion errichten lassen, aber es hat sich herausgestellt, dass an dieser Stelle ständig etwas stattfindet, von Automessen über Shows bis hin zu Volksmusik. Wer will diese Veranstaltungen eigentlich und wem dienen sie? Bei der Kunst wird das ja auch immer infrage gestellt, wobei oft elitäre Interessen unterstellt werden – umgekehrt kann diese aber auch derartige Fragen stellen. Die Schwierigkeiten und Interessenskonflikte, die bei der Umsetzung der Kunstwerke auftreten, sind ein Beleg für den Status der Widmung des öffentlichen Raums.

Horst Gerhard Haberl: Manchmal werden aus solchen eigentlich temporären Arbeiten ja auch dauerhafte: Der sogenannte rostige Nagel in Graz, das „Brunnenwerk“ von Serge Spitzer ist 1985 im Rahmen des steirischen herbst entstanden – und seitdem steht er an Ort und Stelle, obwohl er ursprünglich nur auf Zeit genehmigt wurde.

Veronica Kaup-Hasler: Das heißt doch auch: Er wurde plötzlich zum Inventar, zu einem gewohnten Teil der Stadt. Aber ein Denkmal ist ja eigentlich etwas, worüber man stolpern muss, um überhaupt zum Denken angeregt zu werden.

Horst Gerhard Haberl: Ja, und jetzt sind diese Installationen sinnentleert. Die ursprüngliche Genese geht verloren. Einer Kunst, die Objekte im öffentlichen Raum schafft, wohnt immer die Problematik inne, dass sie zur Dekoration verkommt.

Sabine Breitwieser: Wir jedenfalls konzipieren unsere Ausstellung wirklich als temporäres Projekt, was viele Chancen in sich birgt. Wir wollen Projekte realisieren, die auf Dauer nicht möglich wären. Nach vier Wochen ist alles wieder weg und dann muss auch tatsächlich wieder was anderes kommen. Ein Thema, wie wir es mit der Ausstellung zur Debatte stellen wollen, kann und soll nicht über lange Zeit lebendig bleiben. Und stellen Sie sich vor, alles, was einmal in Graz an Kunst stattgefunden hat, wäre geblieben!

Veronica Kaup-Hasler: Wie haben sich die Strategien, mit dem öffentlichen Raum umzugehen, also die Art der Interventionen, in den letzten zwanzig Jahren verändert? Kunst im öffentlichen Raum ist ja inzwischen etwas, vor dem man als Kurator eher zurückschreckt. Es scheint einen Rückzug zu geben in Museen, in Galerien, in alternative Räume.

Horst Gerhard Haberl: In den Sechzigerjahren gab es die Tendenz, aus den Museen raus zu gehen, um die Kunst mit Leben und dem Alltag zu verbinden. Insofern ist es schon interessant zu beobachten, dass es in letzter Zeit wieder zurückgeht in die geschützten Räume. Vielleicht auch deshalb, weil es andernorts keinen Platz mehr gibt.

Sabine Breitwieser: Wir müssen unterscheiden zwischen Kunst im Außenraum und Kunst im öffentlichen Raum. Letztere ist Thema unseres Projekts. Einerseits gibt es die Geschichte des Denkmals, das sozusagen die Evolution der Skulptur ausgelöst hat, und es gibt aktivistische Kunst auf der Straße, die aus den tradierten Institutionen hinaustritt und Kunst mit Leben gleichsetzen will. Dann gibt es nach wie vor – und das hat in Österreich in der NS-Zeit seine Wurzeln – „Kunst am Bau“, künstlerische Auftragsarbeiten bei einem öffentlichen Neubau. Einige Künstler haben sich irgendwann überlegt: Wem oder was dient meine Arbeit? In den letzten Jahren haben viele versucht, eher handlungsorientiert und kollaborativ, etwa mit Minderheiten zu arbeiten. Das hat aber auch ein bisschen in eine Sackgasse geführt, u.a. weil zugunsten des sozialpolitischen manchmal das ästhetische Potenzial der Kunst vernachlässigt wurde. Das sind knapp und grob formuliert die Entwicklungsstränge und vor diesem Hintergrund möchte die Ausstellung „Utopie und Monument“ den Künstlern und Künstlerinnen genau diese Fragestellungen mitgeben: Wo steht ihr? Welche Möglichkeiten habt ihr? Wie wollt ihr mit einem solchen Auftrag umgehen?

Veronica Kaup-Hasler: Ist Arbeit im öffentlichen Raum, die z.B. behördlich genehmigt werden muss, nicht von vornherein ein Ausdruck von Selbstbeschränkung?

Sabine Breitwieser: Wir sind bereits davon abgekommen, Straßenbarrikaden aus städtischem Sperrmüll als Kunst zu machen, die vom Bürgermeister zu bewilligen wären … Tatsächlich müssen Künstler und Künstlerinnen, die den geschützten Raum einer Galerie oder eines Museums verlassen, sich darauf gefasst machen, jenseits von weißen Wänden und Museumswärtern auf vehemente Grenzen und Interessenskonflikte zu stoßen. Das Prinzip der freiwilligen Zustimmung zu einer Begegnung mit Kunstobjekten wird vom Prinzip einer direkten, unmittelbaren und oft unvorbereiteten Konfrontation abgelöst. Kunst muss sich diese öffentlichen Räume für ihr Anliegen ständig neu erarbeiten und verhandeln und das kann im Sinne der modernistischen Ideologie des autonomen Kunstwerks in der Tat als Beschränkung aufgefasst werden. Es gilt auszuloten, was muss ich als Künstler oder Künstlerin preisgeben und was gewinne ich auf der anderen Seite. Im optimalen Fall betrachten alle Seiten das Ergebnis als Gewinn. In der Praxis dauert es allerdings eine Weile, bis diese Erkenntnis eingetreten ist. Wie stark der Stadtraum von Graz bereits von unterschiedlichen Interessensgruppen okkupiert ist, war mir nicht bewusst. Offenbar gilt das Gesetz dessen, der diese Bühne zuerst betreten hat. Jedes Objekt, das in der Stadt bereits positioniert ist, hat seine Berechtigung und wird nicht mehr infrage gestellt. Gegen unsere Kunstprojekte aber werden alle nur erdenklichen Sicherheitsbedenken geäußert.

Veronica Kaup-Hasler: Wie steht es eigentlich mit dem medialen Raum – bzw. mit Kunstprojekten in einem erweiterten öffentlichen Raum. Ich denke zum Beispiel an das Container-Projekt „Ausländer raus“ (2000) von Christoph Schlingensief in Wien, für das ich mitverantwortlich war – und das es tatsächlich geschafft hat, die Medien zu instrumentalisieren. Gibt es in der Ausstellung Projekte, die auf ihre eigene Art und Weise mit den Medien umgehen, sie thematisieren oder als öffentlichen Raum nutzen?

Sabine Breitwieser: Die Arbeit von Lara Almarcegui nutzt den Medienraum von Zeitschriften und Tageszeitungen, um örtliche Brachflächen zur Diskussion zu stellen. In der Langen Gasse hier in Graz gibt es idyllische Schrebergärten, die aufgelassen sind und nicht mehr benutzt werden dürfen, doch einige der früheren Nutzer gehen trotzdem nach wie vor dorthin. Wahrscheinlich gibt es für diese Schrebergärten schon Bauvorhaben. Wir gehen jetzt der Geschichte des Grundstücks nach, und welche Leute das sind oder waren, die es in ihrer Freizeit, zum Anbau von Obst und Gemüse genutzt haben. Gleichzeitig wollten wir ein anderes Brachland öffnen – aber das kann aus Kostengründen wahrscheinlich nicht realisiert werden. Die Künstlerin hat bereits mehrere Grundstücke vorgeschlagen, deren Öffnung immer wieder an den erforderlichen Zustimmungen der Eigentümer gescheitert ist. Dabei sind das allesamt Grundstücke, die schon lange leer stehen und verwildert sind: paradiesische Gärten, wenn sie nicht durch einen Bauzaun abgeriegelt würden. Den Bauzaun wegnehmen und das Land für drei Wochen öffentliches Gut werden lassen! Dieses Projekt zeigt, was es bedeutet, im öffentlichen Raum künstlerisch-interventionistisch tätig zu sein: einerseits ein Ausloten und Verhandeln der Möglichkeiten, also ein gewissermaßen utopisches Projekt. Andererseits die mediale Kommunikation, die den öffentlichen Raum oft mehr definiert als der konkrete örtliche Raum.

Veronica Kaup-Hasler: Herr Haberl, Sie selbst sind ja auch ein Protagonist im Umgang mit den Medien und haben viel in diesem Bereich gearbeitet. Die von Ihnen als Art Director der Schuhfirma Humanic entworfene kunst- und künstlerbezogene Werbelinie „Franz“, die heute noch wegen ihrer Kompromisslosigkeit als beispielgebend für die österreichische Werbegeschichte gilt, hat mich immer sehr beeindruckt.

Horst Gerhard Haberl: Ja, das hat nur deshalb einigermaßen funktioniert, weil ich in dem ORF-Intendanten Gerd Bacher einen Freund hatte, der dahinterstand. Denn die ORF-Werbeabteilung wollte das wiederholt abdrehen, weil das keine richtige Werbung sei. Ganz abgesehen von den zahllosen Protestschreiben und Anrufen der Zuschauer.

Veronica Kaup-Hasler: Heißt das, dass der ORF Werbung inhaltlich bearbeitet – um nicht zu sagen: zensuriert – hat?

Horst Gerhard Haberl: Wir haben schon mitunter Texte ändern müssen. Aber das war leichter als die Durchsetzung von ausgewiesenen Kunstprojekten wie etwa den „Austrian Tapes“ (1974) des Videopioniers Douglas Davis, die wirklich ein Paradefall für Intervention im öffentlich-rechtlichen Fernsehen waren: Davis forderte die Zuseher auf, ganz nah an den Bildschirm zu kommen, sich wie er zu entkleiden und in der Folge mit seinen Händen, seiner Wange, seinem Rücken oder seiner Brust in einen hautnahen Kontakt zu treten. Das Konzept des Künstlers sah allerdings die wiederholte und unangekündigte Unterbrechung laufender Fernsehprogramme durch seine „Tapes“ vor – praktisch einen Coitus interruptus des Fernsehkonsums. So war es geplant. Tatsächlich ausgestrahlt wurden die „Austrian Tapes“ dann in Preiners Kunstprogramm „Impulse“. Das Konzept wurde in dem ursprünglichen Sinn also nicht realisiert. Der einzige Bereich, wo es über 16 Jahre lang funktioniert hat, Medienkunstprojekte von Künstlern auszustrahlen, war dann tatsächlich die Humanic- Werbung. Aber wie gesagt: mit ziemlich vielen Hindernissen.

Veronica Kaup-Hasler: Abgesehen von der eher unglücklichen allgemeinen Entwicklung des ORF in den letzten Jahren hängt es aber auch immer von den handelnden Personen ab. Wir haben im Moment eine sehr positive Gesprächsbasis. Im Rahmen von Steiermark Heute werden wir heuer täglich eine Minute lang ein Kunstwerk porträtieren. Aber ich möchte noch zu einem anderen wichtigen Punkt kommen, nämlich dem Festivalzentrum des steirischen herbst, das seit Anbeginn meiner Intendanz zu einem wichtigen künstlerischen Zeichen und Ereignis im öffentlichen Raum wurde. Hier wird temporär ein neuer öffentlicher Raum erst generiert, ein zentraler Ort für das Festival, an dem sich Menschen treffen, der offen ist für eine Begegnung von Künstlern und Publikum. Ein Ort des Austausches, der aber auch programmatisch konzipiert ist und bespielt wird. In diesem Jahr haben wir die Wiener Architekten und Künstler MVD frank, rieper eingeladen, mit dem Konzerthaus Orpheum umzugehen. Michael Rieper nennt sein Projekt „Schauhaus“. Er entwirft sozusagen ein benutzbares Regal, das vor das Orpheum gebaut wird und temporär einen neuen Zugang eröffnet über die Terrasse hinein ins Haus. Wir könnten es uns mit dem Festivalzentrum auch leichter machen, einfach ein bestehendes Lokal, eine Bar nehmen und sagen: Dort treffen wir uns. Aber uns ist sehr wichtig, dass es eine auch optische Setzung gibt – temporär, ein Moment der Irritation …

Horst Gerhard Haberl: Wie konstituiert sich denn für den herbst heute ‚Öffentlichkeit‘ – regional, national, international?

Veronica Kaup-Hasler: Das ist eine geografische Unterteilung – dazu kommen aber auch unterschiedliche Spezialisierungen, Ausrichtungen des Publikums. Man kann sagen, dass das Grazer und steirische Publikum sozial und altersmäßig recht breit gefächert ist. Von je weiter die Gäste kommen, desto mehr gehören sie dann einem eher spezifisch kunstinteressierten, bürgerlichen Spektrum an. Bis hin zum internationalen Fachpublikum, das vor allem aus Künstlern und Kuratoren besteht, die sich aufgrund des Programmes entschließen, von weit anzureisen – auch wenn die Verkehrsanbindung von Graz ja nicht gerade optimal ist. Um diese doch sehr unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu erreichen, gibt es unterschiedliche Mittel und Medien. Am schwierigsten ist es natürlich im direkten Umfeld, in Graz: Da müssen wir sehr differenziert auf die verschiedenen Interessen und Besuchergruppen eingehen. Zum Beispiel haben wir eine Dokumentarfilmreihe für Kinder und Jugendliche und versuchen immer wieder auch Künstler einzuladen, Projekte für oder mit Kindern zu entwickeln. In diesem Jahr beispielsweise die britischen Performer von Lone Twin. Das ist ein Bereich, der natürlich ganz andere Strategien der Kommunikation verlangt als beispielsweise unsere Theorieschiene. Aber gleichzeitig wäre es naiv zu denken, dass das in unserer medialisierten Welt ausreicht. Wir wissen doch alle, dass etwas, über das nicht in ausreichendem Maße vorher und nachher berichtet wurde, für eine breitere Öffentlichkeit und auch Politik quasi gar nicht stattfindet. Darüber kann man klagen – oder versuchen, damit so kämpferisch und kreativ als möglich umzugehen.

Sabine Breitwieser: Aber es gibt ja zwangsläufig Gesellschaftsgruppen, an denen sich so etwas wie ein Avantgardefestival naturgemäß vorbeibewegt. Auch dahingehend halte ich es generell für wichtig, dass Dinge auch wieder wegkommen, um Platz für was Neues zu schaffen.

Veronica Kaup-Hasler: Natürlich gibt es immer wieder Vorbehalte gegenüber zeitgenössischer Kunst. Das zieht sich aber durch alle gesellschaftlichen und sozialen Sphären und hat viel mit Vorurteilen und Nichtinformation zu tun. Der natürliche Feind des Neuen, Zeitgenössischen ist der konservative, rein an Reproduktion, am Erhalt des Bestehenden und scheinbar Bewährten interessierte Mensch. Das per se nicht-neugierige, ignorante, anti-internationale Individuum. An denen geht der steirische herbst total vorbei. Interessant ist, dass sich Menschen, die in ihrer Jugend durchaus interessiert sind, später dennoch zu Ignoranten entwickeln können, die es immer schon besser wussten. Dieser geistigen Arthritis ist aber abzuhelfen, und da bin ich gerne therapeutisch tätig.

KURZBIOGRAFIEN:

Sabine Breitwieser ist Kuratorin in Wien und Secretary und Treasurer von CIMAM – dem internationalen Komitee von ICOM (International Council of Museums) für Museen und Sammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst (www.cimam.org). Für den steirischen herbst 2009 und 2010 kuratiert sie „Utopie und Monument“, eine Ausstellung im öffentlichen Raum.

Horst Gerhard Haberl ist Ausstellungs- und Projektkurator. Er war Intendant des steirischen herbst, Kulturjournalist, Herausgeber und Autor zahlreicher Publikationen sowie TV-Reportagen (ORF) zu Grenzphänomenen der zeitgenössischen bildenden Kunst sowie Professor für Kunstvermittlung und Designtheorie an der Hochschule der Bildenden Künste Saar.

Veronica Kaup-Hasler ist seit 2006 Intendantin des steirischen herbst. Zuvor arbeitete sie als Dramaturgin am Theater Basel, bei den Wiener Festwochen und war Leiterin des Festivals Theaterformen. Seit 2008 ist sie Mitglied des Universitätsrates der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.

Das Gespräch wurde dem herbst-Magazin 2009 "herbst. THEORIE ZUR PRAXIS" entnommen. (Hg: steirischer herbst festival gmbh)

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