In diesen Tagen wurde viel über den umstrittenen Bebauungsplan Andritzer Reichsstraße berichtet.
Höchstwahrscheinlich wird der Grazer Gemeinderat diesen investorengesteuerten Bebauungsplan beschließen. Um nicht in den Verdacht zu kommen, Investoreninteressen vor die Interessen der Stadt Graz und ihrer Bürger*innen zu stellen, sollte der Gemeinderat den Beschluss aussetzen.
Andritzer Bürger*inneninitiativen kämpfen gegen den bevorstehenden Beschluss. Ihr Hauptkritikpunkt ist, dass das Stadtplanungsamt 2021 mit Wettbewerbsauslober Portunus (50% Anteile hält NHD, 50% die UBM) am Gemeinderat vorbei eine Dichteüberschreitung von 1,2 auf 1,4 akkordierte. Stadtplanungsamtsleiter Bernhard Inninger bestreitet laut Andritzer Aktivisten diese Akkordierung jedoch vehement u.a. mit dem Argument: Hätte man diese Zusicherung gemacht, hätte man sich ja strafbar gemacht.
Wow! Hat man aber gemacht und Inninger scheint vergessen zu haben, dass diese Zusicherung im Auslobungstext des Architekturwettbewerbs wie folgt festgehalten wurde.
„Einer Dichteüberschreitung auf 1,4 wurde seitens der Stadtplanung unter Bedacht folgender Punkte akkordiert:
(Anmerkung: Grammatikfehler im Auslobungstext)
- dass die Sicherung der Baukultur durch Abhaltung eines Architekturwettbewerbs nach dem Grazer Modell erfolgt
- dass städtebaulich eine Reaktion auf die bestehenden Lärmemissionen der angrenzenden Straßen, unter Bedacht des Ausschlusses von straßenseitigen offenen Erschließungen erfolgt
- dass städtebaulich die Beachtung des kleinteiligen Charakters erfolgt
- eine kommerzielle Nutzung in der Erdgeschoßzone zur Andritzer Reichsstraße umgesetzt wird
- eine qualitätsvolle bauliche Entwicklung stattfindet"
Das Zugestehen einer Dichteüberschreitung im Vorfeld verknüpft mit „zusätzlichen“ Bedingungen, die auch ohne Wettbewerb durch das räumliche Leitbild eingehalten werden müssten, wirft kein gutes Licht auf Stadtbaudirektion und Stadtplanungsamt. Denn die Abhaltung eines Wettbewerbs zur Sicherung der Baukultur ist keine fachliche Begründung für Dichteüberschreitungen. Sehr fragwürdig wird dieses Procedere bei Betrachtung der planerisch inkonsistenten Haltung des Stadtplanungsamtes.
Im seit 2018 gültigen Flächenwidmungsplan 4.0 wurde die Dichte in diesem Gebiet von 1,5 auf 1,2 mit der Begründung „Schutz alter Ortszentren“ herabgesetzt.
Drei Jahre später vollzog das Stadtplanungsamt eine Kehrtwende und warf seine Festlegungen zugunsten von Investoreninteressen über Bord. Unter Umgehung des Gemeinderates wurde für den Wettbewerb die Höchstdichte von 1,2 auf 1,4 hinaufgesetzt. „Aufgeflogen“ ist dieser Deal durch Veröffentlichung der Ausschreibungsunterlagen auf GAT.
Sehr investorenfreundlich war auch dieser Ausschließungsgrund für die geladenen Architekturbüros:
„Sollte ein Wettbewerbsprojekte dezidiert in der Ausschreibung geforderte Planungsaufgaben insbes. gem. Pkt. 2.2 nicht erfüllen, ist es vom Preisgericht auszuschließen.“ Das hat nichts mit Baukultur sondern nur mit Investorengier zu tun.
Dieser Wettbewerb nach Grazer Modell in Andritz ist nicht der einzige, bei dem sich Grazer Planungsämter von eigenen Vorgaben und Richtlinien zugunsten des Investors verabschiedeten. (Siehe auch Kritik von DI Maria Baumgartner an zwei Grazer Modell Wettbewerben in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße auf GAT.)
Das Grazer Modell stellt sich auch ganz offiziell investorenfreundlich dar, wie aus den im Leitfaden definierten Grundlagen hervorgeht:
„Die Fachgruppe der Immobilien- und Vermögenstreuhänder empfiehlt den in der Wirtschaftskammer organisierten InvestorInnen, bei Projekten ab einer Bruttogeschossfläche von 3.000m², Wettbewerbe durchzuführen. Stadt und InvestorInnen arbeiten bereits bei der Erstellung der Ausschreibungsgrundlagen zusammen. Die (…) ausgewählten Projekte gelten – wenn ihre wesentlichen Parameter beibehalten werden – für die nachfolgenden Verfahren der Stadt Graz als grundsätzlich umsetzungsfähig und erhalten ein positives städtebauliches Gutachten der Stadtplanung. (…)“
Eine Besonderheit des Grazer Modells ist, dass für die meist bebauungsplanpflichtigen Grundstücke die Bebauungsplanung, die am Beginn des Planungsprozesses stehen müsste, an dessen Ende verschoben wird. Dafür wird das aus dem Wettbewerb hervorgegangene Siegerprojekt als Grundlage für den Bebauungsplan herangezogen. Das Pferd wird also verkehrt aufgezäumt.
Ohne städtebauliche Analysen und Begründungen werden dem Investor bereits in der Vorbereitungsphase zum Architekturwettbewerb Höchstdichten bzw. Dichteüberschreitungen zugesagt, deren Einhaltung vom Investor im Wettbewerb auch eingefordert wird. Das Siegerprojekt dient als Grundlage für das nachgestellte Bebauungsplanverfahren, dessen einziger Zweck die Legitimierung des Siegerprojekts ist. Erst nun wird der bisher umgangene Gemeinderat einbezogen, der nur mehr die Auflage des Bebauungsplanentwurfes beschließen kann. Während der Auflage können Bürger*innen dagegen einwenden. Nach Bearbeitung der Einwendungen, beschließt der Gemeinderat den Bebauungsplan oder lehnt ihn ab. Ablehnungen gibt es, falls überhaupt, nur bei großem medial begleiteten Bürger*innenprotest.
Conclusio:
Das Grazer Modell stellt sich in der Praxis als intransparente Spielwiese der Stadtbaudirektion dar. Es steht im Widerspruch zu Raumplanungsgrundsätzen und degradiert die Bebauungsplanung zur Farce. Es sollte in der Form abgeschafft werden.