11/06/2013
11/06/2013

Braunkohlekraftwerk Voitsberg III. Schnee im Kühlturm.

©: Martin Grabner

Das Braunkohlekraftwerk Voitsberg III ist 1986 in Betrieb gegangen. Ansicht der Anlage im Mai 2013

©: Martin Grabner

Braunkohlekraftwerk Voitsberg III. Das eindrucksvolle Innere des Kühlturms.

©: Martin Grabner

Braunkohlekraftwerk Voitsberg III. Das Kesselhaus, noch mit dem Schatten des jetzt abgerissenen Kühlturms.

©: Martin Grabner

Braunkohlekraftwerk Voitsberg III. Spuren früheren Lebens.

©: Martin Grabner

Mitte Mai 2013 wurde eine Ikone der jüngeren steirischen Industriegeschichte und -architektur dem Erdboden gleichgemacht. Der eindrucksvolle, 100 Meter hohe Kühlturm des stillgelegten Kraftwerks in Voitsberg wurde in der Morgendämmerung professionell zum Einsturz gebracht. Der markante Betonriese ging nicht durch eine aufsehenerregende Sprengung zu Boden, sondern wurde – richtiggehend elegant – nach kompletter Aushöhlung und der Schwächung des Stahlbeton-Mantels mit einem Stahlseil umspannt und umgezogen. Auf Youtube sind mehrere Videos des nicht einmal 15 Minuten dauernden Abrisses zu finden. Die rund 6.000 Tonnen Beton und 800 Tonnen Stahl werden recycelt.

Aber war die Zerstörung des imposanten Turms wirklich nötig?
War sie sinnvoll?

Seine aktive Zeit hatte das Industriebauwerk wohl hinter sich. Das erst 1983 in Betrieb gegangene und 1986 mit einer Rauchgas-Entschwefelungsanlage ausgestattete Braunkohlekraftwerk Voitsberg III der ÖDK (Österreichische Draukraftwerke) wurde 2006 stillgelegt. Auch weil die Kohleförderung in der Region eingestellt worden war und die Lieferung von Kohle aus dem Ausland nicht rentabel schien. Besonders, da der Strompreis in diesen Jahren sehr niedrig war und das umwelttechnisch aufgerüstete Kraftwerk vergleichsweise teuer produzierte. Eine anvisierte Umrüstung auf Steinkohle wurde weder vom damaligen Eigentümer Verbund noch von Mirko Kovats, der das Kraftwerk 2008 kaufte, umgesetzt. Dessen große Pläne gingen mit seiner Unternehmensgruppe A-Tec 2010 im Konkurs unter.
Mit dem Kauf durch die Porr AG im Jänner dieses Jahres war der Abriss besiegelt. In den nächsten eineinhalb Jahren sollen alle drei Blöcke des Kraftwerks abgetragen werden. Ob das ebenfalls rund 100 Meter hohe und nicht weniger imposante Kesselhaus demontiert und als Ganzes verkauft oder doch verschrottet werden soll, ist noch nicht klar. Ein spektakulärer Höhepunkt des größten Rückbauprojekts Österreichs hingegen schon: die Sprengung des 180 Meter hohen Schlots im Spätsommer 2014.

Was auf den insgesamt rund 250.000 Quadratmetern Industriebrache nahe dem Voitsberger Zentrum entstehen soll, ist noch nicht klar. Die Stadtregierung, die zunächst in der Hoffnung auf Arbeitsplätze für eine Wiederinbetriebnahme inklusive einem, von Kovats versprochenen Kompetenzzentrum war, dann – auf Druck der Bevölkerung – einen möglichst schnellen Abriss forcierte, hofft nun auf einen Industrie- und/oder Gewerbepark. Dieser ist aber noch Gegenstand von Spekulationen und Wünschen.
Die Chance für etwas Besonderes wurde mit dem Abriss aber wohl vertan. Das Kraftwerk ist (beziehungsweise war) – bei aller berechtigter und unberechtigter Kritik – ein Identität stiftendes Symbol für die Stadt und die Region. Ob als Relikt des Industrieerbes oder erfüllt mit einer neuen Funktion hätte der ikonische Kühlturm das emotional aufgeladene Herz eines Industrie- oder Technologieareals werden können. Der einzigartige, Ehrfurcht hervorrufende Raum im Inneren des Turms hätte ein Veranstaltungsort mit unvergleichlicher Atmosphäre werden können. Dass eine solche Umnutzung langfristig funktionieren kann, zeigt das nie in Betrieb gegangene AKW Zwentendorf, das gefragter Drehort ist und unter anderem dem Tomorrow-Festival als Austragungsort dient. In einer Lehrveranstaltung der TU Graz wurden schon 2007/08 teils gewagte, teils realitätsnahe Szenarien für eine Nachnutzung entworfen. Die letztendlich Verantwortlichen wählten einen pragmatischeren, aber auch kurzsichtigeren Weg.

Der Autor hatte im Jahr 2008 die Gelegenheit, das gesamte Kraftwerk in mehreren Besuchen fotografisch zu dokumentieren und war beeindruckt. Beeindruckt von einer Ästhetik, die sich, zumindest nach außen, ganz anders gibt als die bekannten und von Größen wie Bernd und Hilla Becher oder Albert Renger-Patzsch festgehaltenen Industriearchitekturen. Wie diese an rein technischen und funktionalen Kriterien orientiert, entstehen durch die Fassung der technischen Anlage in einer gemeinsamen Hülle reduzierte, monolithische Volumen. In deren Inneren offenbart sich eine räumlich komprimierte und optimierte Welt aus Maschinen und Behältern, verschlungenen Leitungen und Rohren und den Spuren der jahrelangen menschlichen Anwesenheit.
Ebenso beeindruckend waren die Erzählungen der letzten, dort ihren Dienst versehenden Angestellten, die von der sozialen Dimension des Kraftwerks zu berichten wussten, das über Jahrzehnte Arbeitsplatz und Lebensmittelpunkt vieler Menschen war. (Das Kraftwerk Voitsberg I wurde 1953 in Betrieb genommen.) Über die Belegschaft hinaus war eine Vielzahl an betrieblich organisierten Vereinen ein Fixpunkt des Lebens in der Region, der plötzlich wegbrach. Ein über Generationen in der Region gewachsener und verankerter Industriebetrieb ist eben viel mehr als nur 6.000 Tonnen Beton und 800 Tonnen Stahl, die einfach abtransportiert und recycelt werden können.

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