23/02/2011
23/02/2011

Der Falter erscheint wöchentlich, jeweils mittwochs.

Johann Eder legt zwei Erinnerungsstücke vor sich auf den Tisch: den berühmten gelben „Atomkraft? Nein danke!“-Sticker und einen selbst entworfenen Würfel, auf dem „Zwentendorf-Abbaustein“ steht. Diese hat der glühende Kernkraftwerksgegner seinerzeit unter den Mitstreitern verkauft, „damit habe ich einen Preis für alternative Energie finanziert“, schwelgt der Pensionist in Erinnerungen.

Heute kämpft Eder nicht gegen, sondern für ein Kraftwerk: Eben stellt er den Verein „Ein Herz für die Mur“ auf die Beine, der sich für die Staustufe Puntigam einsetzen wird. Für Eder ist das nur logisch: Wer gegen Atomstrom ist, müsse für Wasserkraft sein. Auch wenn die Stromleistung nicht riesig sein werde, müsse man das Potenzial nützen. Außerdem könne die Stadt damit die Mur viel stärker als Lebensraum nützen. Schon in den Neunzigern, als das Projekt erstmals auftauchte, war Eder, damals Umweltkoordinator der Stadt, dafür.

Vor eineinhalb Wochen erklärte der Vorstandschef der Energie Steiermark (Estag), Oswin Kois, die Planungspause für die Staustufe Puntigam für beendet. Der Landesenergiekonzern hatte die Vorbereitungen vergangenen Oktober unterbrochen, weil Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), prinzipiell ein glühender Verfechter des Projekts, angekündigt hatte, die Grazer schon demnächst darüber abstimmen zu lassen. „Dazu ist es bis jetzt aber nicht gekommen, wir werden daher die Behördenverfahren wie geplant weiterführen“, erklärt Konzernsprecher Urs Harnik-Lauris, „sollte eine Bürgerbefragung kommen, so stehen wir einer solchen offen gegenüber.“ Nun lässt der Stromkonzern keinen Zweifel aufkommen, dass er das Projekt durchziehen will. Dabei sind noch immer viele Fragen offen – vor allem jene, ob es denn die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) schaffen wird. So ist der Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern um die Meinung der Grazer wieder voll entbrannt. Die einen meinen, Wasserkraft sei gut, weil jedenfalls besser als Atomkraft, die anderen sehen den Eingriff in den Naturraum dennoch als zu schwerwiegend an.

Puntigam wäre die fünfte Staustufe im Raum Graz. Im Süden sind für die Kraftwerke Gössendorf und Kalsdorf die Bagger bereits aufgefahren, im Norden sollen Gratkorn und Stübing folgen. Bei allen fünf Projekten arbeitet die Estag mit dem Verbund zusammen. Derzeit macht gar das Gerücht die Runde, es werde schon an einem sechsten Projekt gebastelt, und zwar im Bereich Kalvarienberg. Sowohl Estag als auch Verbund schließen das allerdings aus.

Für Puntigam fährt die Estag nun ihre PR-Aktivitäten voll in die Höhe. In der Gratiszeitung Woche malte Estag-Chef Kois das Kraftwerk letzte Woche in den schönsten Farben: Er prophezeite „herrliche Freizeitmöglichkeiten“ an der Mur. Im Sinne der Energieautonomie sei das Kraftwerk „zwingend notwendig“. Außerdem hat die Estag eine Inseratenkampagne „Fragen zur Mur“ gestartet, wo sie dieser Tage erklärt, dass ihr „Ökoprojekt“ sogar mehr Bäume an die Mur bringe, als es derzeit gebe.

Auch die Tatsache, dass der Projektpartner Verbund einen Absprung aus dem Projekt nicht ausschließt, bremst die Estag nicht. Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber hatte kürzlich in der Kleinen Zeitung erklärt, das Interesse sei „nicht unbegrenzt“, etwa wenn die Grazer es nicht haben wollten. Ob der Verbund an Bord bleibt, hänge davon ab, was es alles an Auflagen gebe: „Was hängt man dem Kraftwerk alles um? Die Wirtschaftlichkeit ist für uns schon ein Thema.“ Estag-Sprecher Harnik-Lauris versichert: „Das ändert für uns nichts, wir könnten das auch aus eigener Kraft umsetzen.“ An der Wirtschaftlichkeit des 87-Millionen-Euro-Projekts zweifle man nicht: „Sonst würden unsere Gremien das Projekt nicht befürworten.“

Doch auch wenn die Estag ein potenter Konzern ist, der sich teure Inseratenkampagnen leisten kann, die Mehrheit der Politik – außer KPÖ und Grünen – sowie ÖGB, Kammern und Prominente auf seiner Seite hat, sind ihre Gegner nicht gering zu schätzen: Die Plattform „Rettet die Mur“ hat laut Eigenangaben seit vergangenem Sommer 29.118 Unterschriften gegen die Staustufe Puntigam gesammelt. „Wir kämpfen gegen die Zerstörung des letzten frei fließenden Abschnitts der Mur“, erklärt Sprecher Clemens Könczöl. Würden doch der Uferwald und die Flusslandschaft kaputt und dem von der EU geschützten Huchen, einem Lachsfisch, der Garaus gemacht.

Unterstützt wird die Plattform von Organisationen wie dem WWF, dem Naturschutzbund Steiermark und dem Umweltdachverband. Von der Proponentenliste lachen die Grün-Ikone und damalige Anti-Zwentendorf-Aktivistin Freda Meissner-Blau ebenso wie zahlreiche Uniprofessoren, Ökologen und – ausgerechnet – SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter, der damit in diametralem Gegensatz zu seinen steirischen und Grazer Parteifreunden steht. Hintergrund: Kräuter ist Präsident des Verbands Österreichischer Arbeiter Fischerei Vereine, dessen Grazer Gruppe sich ebenfalls gegen das Kraftwerk sperrt.

Und die Plattform ist in der Stadt stetig präsent: Seit Oktober flackert Tag für Tag ein kleines Lichtermeer aus Grabkerzen an der Murpromenade unter der belebten Hauptbrücke, jeden Samstag informieren Aktivisten an Infotischen. Und seit zwei Wochen entdecken Passanten bei der Olympiawiese, wo die Staustufe gebaut werden soll, ein Absperrband in den Baumkronen: „Es macht darauf aufmerksam, wie hoch die Staumauer werden soll“, erklärt Pressesprecher Clemens Könczöl. „Wir müssen das Band aber jede Woche neu anbringen, weil es immer wieder heruntergerissen wird.“

Der Psychologiestudent und Fischer Könczöl gehört zu jenen Aktivisten, die einen großen Teil ihrer Freizeit in den Kraftwerks-Abwehrkampf buttern. Ähnlich wie Karin Steffen, die Obfrau des Schutzvereins Ruckerlberg ist, bei „Mehr Zeit für Graz“ und der kraftwerkskritischen Blatt-Form mitarbeitet: Sie eilt von Lokalaugenschein zu Behördenverhandlung, „und wenn ich Zeit hab’, zünd’ ich ein Kerzerl an“, sagt sie: „Beim Kampf um die Mur bin ich am meisten mit dem Herzen dabei.“

Bei „Mehr Zeit für Graz“ sitzen Steffen und Johann Eder zusammen, ansonsten steht Eder den Gegnern nun mit seiner Pro-Initiative gegenüber. Allerdings erst einer kleinen: Offiziell nennt Eder – ebenfalls ein langjähriger Aktivbürger, er steht auch hinter der Interessengemeinschaft Univiertel – nur einen Mitstreiter: Sepp Schmalhardt, den ehemaligen Klubchef der Grazer KPÖ. Es gebe aber mehrere, die würden sich demnächst outen.

Schon als Erstes musste sich Eder öffentlich fragen lassen, ob er auf der Gehaltsliste des Stromkonzerns stehe, was er verneinte. „Ich habe bei der Estag nur angefragt, ob es ihnen recht ist, wenn ich das mache“, erklärt er im Falter-Gespräch. Wie er sich finanzieren will? Er wolle zahlende Vereinsmitglieder anwerben und dafür alle anschreiben, die sich auf der Estag-Homepage für das Kraftwerk deklarieren, von Nagl bis zum Präsidenten der Industriellenvereinigung, Jochen Pildner-Steinburg. Wie er es mit der Estag halten will, weiß er noch nicht genau. Er wiegt den Kopf: „Wir müssen natürlich höllisch aufpassen, dass wir nicht wie ein Ableger der Estag aussehen.“ Aber er wolle auch sie einladen, seinen Verein als Ganzes finanziell zu unterstützen. Für Pro-Puntigam-Broschüren würde er eher kein Geld nehmen.

Einig sind sich Eder und die Estag bereits in einem: dass die Kraftwerksgegner „unseriösen“ Aktionismus betreiben. Als Beispiel sagt Harnik-Lauris: „‚Rettet die Mur‘ redet von 6,5 Meter hohen Dämmen, in Wahrheit werden die mit Pflanzen und Bäumen begrünten Erdhügel am höchsten Punkt, nämlich beim Kraftwerk selbst, knapp drei Meter hoch sein“, und sie würden gar nicht wie Dämme ausschauen. Tatsächlich spricht die Plattform in Foldern nicht von 6,5, sondern von vier Metern – was die steirische Umweltanwältin Ute Pöllinger für realistisch hält, wenn es auch „bis zu“ vier Metern heißen müsste. Generell attestiert Pöllinger den Gegnern, dass ihre Argumente „Hand und Fuß“ hätten. Zudem tätigt die Estag selber Aussagen, die hinterfragenswert sind. Ihr Hauptargument, warum die Staustufe Puntigam kommen müsse: Weil die Steiermark fast die Hälfte des benötigten Stroms importieren müsse, wobei der importierte Strom großteils aus Kern- und Kohlekraftwerken stamme. „Wenn wir in Sachen Energie unabhängig sein wollen“, so Vorstand Kois, „ist das Kraftwerk zwingend notwendig.“ Elektromobilität werde mit ihm „erst möglich“.

Diese Argumentation weist Umweltanwältin Pöllinger strikt zurück. „Eine Energieautarkie der Steiermark ist durch Wasserkraft nicht erreichbar“, sagt sie (siehe falter-Interview unter http://www.gat.st/pages/de/nachrichten/4720.htm). Außerdem wird die Staustufe Puntigam selbst nach Estag-Eigenangaben nur bis zu 74 Gigawattstunden (GWh) produzieren. Das entspricht nur etwa 0,8 Prozent des steirischen Jahresverbrauchs. Und selbst diese Zahlen halten Kritiker für zu hoch gegriffen. Davon, dass genau dieses Kraftwerk zur Energieautonomie „zwingend notwendig“ und daher nicht mehr diskutierbar sei, kann also keine Rede sein.

Auch wenn Kois zum Thema Fischsterben nur sagt, der Fischbestand werde „sich nur lokal verändern, insgesamt sogar zunehmen“, klingt das gewagt: Zwar verfügt die Estag diesbezüglich über ein positives Gutachten, doch ob der Huchen überleben kann, ist heftig umstritten. Und sogar jener Gutachter, den der Verbund selbst für das Kraftwerk Gössendorf beauftragt hat, sagt, dort nehme die geplante Staukette zwei von sechs Fisch-Leitarten die Lebensgrundlage.

Fraglich ist, ob diese Öffentlichkeitsarbeit die Bevölkerung überzeugt, zumal die Estag schon in der Vergangenheit einige Male ungeschickt vorgegangen ist. So sorgte im Vorjahr für große Empörung, dass der Konzern seine Mitarbeiter aufforderte, Unterschriften für das Projekt zu sammeln. Für die Eifrigsten wurden Preise ausgelobt. Sanfter Druck war inklusive: „Im Sinne Ihrer starken Verbundenheit mit dem Unternehmen hoffen wir zumindest auf 20 Unterschriften pro MitarbeiterIn“, hieß es in dem Rundmail laut Kleiner Zeitung. In Erinnerung blieb auch deren Bericht, wonach ein Estag-Verhandler eine verkaufsunwillige Grundbesitzerin in ihrer eigenen Wohnung bedroht haben soll, sodass diese die Polizei rief.

Die grüne Gemeinderätin Andrea Pavlovec-Meixner wiederum schwört Stein und Bein, Ex-Estag-Vorstand Franz Kailbauer habe in kleiner Runde erklärt: Das Projekt sei zwar wirtschaftlich schwer vertretbar, aber „ich vergrabe das Geld lieber in der Mur, als es im Budget des Landes Steiermark verdampfen zu lassen“. Die Aussage blieb bisher undementiert, der Estag-Sprecher sagt dazu: „Ich kann Ihnen garantieren, dass die Energie Steiermark mit Sicherheit kein Geld versenkt.“

Aktuell gibt es erneut böses Blut: Am rechten Murufer nahe der Staustufe Gössendorf wurde ein Waldstück geschlägert, das laut Umweltanwältin außerhalb des bewilligten UVP-Gebietes liegt. Die Initiative Blatt-Form hat dieser Tage Anzeige eingebracht, die Schlägerung hat ihrer Meinung nach ohne Rechtsgrundlage stattgefunden. Harnik-Lauris sagt dazu nur so viel: „Alle Arbeiten im Bereich Gössendorf wurden vorschriftsgemäß durchgeführt.“

Ob die Estag die Grazer aber überhaupt von dem Projekt überzeugen muss, ist derzeit unklar: Bürgermeister Siegfried Nagl legt sich nicht fest, ob es nun wirklich eine Befragung darüber geben wird. Sein Sprecher Enrico Radaelli erklärt für den auf Urlaub weilenden Nagl: „Wir warten ab, bis das Projekt fertig geprüft ist, erst dann kann darüber befragt werden.“ Laut Umweltanwältin ist das frühestens Ende 2012 der Fall. Und dass dann eine Befragung abgehalten wird, könne man natürlich jetzt noch „nicht garantieren“, so Radaelli.

Unklar wird wohl weiterhin bleiben, warum Puntigam-Verfechter Nagl seine Meinung seinerzeit um 180 Grad gedreht hat. Noch zu Silvester 2008 wetterte er über die Staustufe: Die Estag solle doch, anstatt rund um Graz vier Kraftwerke zu planen, deren Energie man gar nicht brauche, ein Drittel der Grazer Dächer mit Sonnenkollektoren ausstatten. Nagl damals: „Es ist wirklich schlimm, dass wir auch bei Landes- und Bundesenergieversorgern nur den Gedanken haben, wo können wir das nächste Kraftwerk hinstellen und wieder verdienen.“ Im Sommer darauf wurde die Idee für Puntigam publik, und Nagl propagierte sie von der ersten Minute an. Radaelli: „Man lernt eben nie aus.“ Durch Puntigam hätten sich neue Chancen für die Wiederbelebung der Mur ergeben. Gemutmaßt wird, Nagl sei weich geworden, weil die Estag einen Kanal mitfinanziert und er sich wohl noch weitere Projekte erhofft.

Ob das Kraftwerk wirklich kommen wird, ist jedoch aus einem anderen Grund ungewiss: Umweltanwältin Pöllinger hält es für eindeutig „nicht mehr umweltverträglich“. Ihrer Ansicht nach rechtfertigt der relativ geringe Output an Energie die Schwere des ökologischen Eingriffs nicht – und sie hält es für „absolut realistisch“, dass ihm die Umweltverträglichkeit nicht zugesprochen wird.

Verfasser/in:
Gerlinde Pölsler, Bericht; erschienen im Falter Stmk. 08/2011 vom 23.2.2011
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