29/10/2009
29/10/2009

Nach der Rezension des Architektur Graz Steiermark Jahrbuches 2008/2009 "Von Menschen und Häusern“, verfasst von Wenzel Mracek (www.gat.st, 28.10.2009), bleiben für uns mehr Fragen als Antworten zum heurigen Architekturpreis Steiermark.

Ein Katalog, und als solcher ist diese Publikation wohl zu bezeichnen, ist Dokument, Archiv und Präsentation. Die Rezension einer solchen Publikation bedarf einer Recherche, die über den konkreten Inhalt des Kataloges hinausgehen sollte, weil eben dieser Inhalt einerseits durch die Geschichte beeinflusst ist und andererseits eine Dokumentation der Gegenwart wiedergeben sollte.

Nach dieser Buchbesprechung muss man leider annehmen, dass die wahrscheinlich einzige Recherche, die es dafür gegeben hat, die Fahrt mit dem Kurator zu einigen der nominierten Projekte war, ergänzt durch die Erläuterungen des Kurators dazu, sofern sie nicht im rezensierten Buch zu finden sind.

Was fällt auf, was durchaus Teil der Rezension ist, aber ohne weitere kritische Analyse stehen bleibt?
So zum Beispiel, dass die Grünanger-Siedlung mehr als 50% der Rezension ausmacht. Wenn einem Projekt soviel Platz gewidmet wird, fehlt uns die Schlussfolgerung des Rezensenten im Zusammenhang mit der Zieldefinition. Liegt das möglicherweise daran, dass dieses Projekt einen sozial- und gesellschaftspolitischen Anspruch und Inhalt hat, also mehr ist als „schick, lustig und trendy“ ? Oder liegt es daran, dass die dazugehörigen Bilder von Livia Corona, die spürbar authentischsten sind, weil keine inszenierten menschlichen Statisten drauf sind?
Hätte das Projekt den Sieg möglicherweise doch eher verdient als ein vermeintliches „Spaßprojekt“, das ohne Preis, lt. Kurator, „... übersehen werden würde“?
Ein Schicksal, dass es übrigens mit vielen anderen nicht- und eingereichten Projekten teilen würde, die Grünanger-Siedlung miteingeschlossen – welch eigenartiges Kriterium.

... 2 Beispiele, „passend“ zum Siegerprojekt:
Haus am Ossiacher See / Haus Kolig; Planung: Manfred Kovatsch
Haus Feurer - Umbau; Planung: Arch. DI Wolfgang Feyferlik
(Links zu den Projekten finden Sie am Ende dieser Seite.)

... nicht weil eines der Häuser von einem der Verfasser ist, sondern weil das Thema „Satteldach“ und eine damit zusammenhängende Sprache der Architektur nach dem „Haus Kolig“ von Manfred Kovatsch in Kärnten und dem „Haus Feurer“ in der Oststeiermark (... und sicher gibt es noch einige andere) für die Architekturentwicklung in der Steiermark „gegessen“ ist.

Nach nun fast 20 Jahren einen „Wiedergänger“ als DAS steirische Architekturprojekt zu prämieren, ist ein Hohn und eine Ohrfeige für die gesamte regionale Architekturentwicklung - die offenbar weder Kurator noch Rezensent kennen.

Nicht überlesen sollte man die Randbemerkung „Planung nur bis zur Einreichung“ - ein unheilverheißendes Signal für das Berufsbild der Architekturschaffenden in der Steiermark!! Man braucht nur nach Deutschland oder nach England zu schauen, wo es eine Schwemme an arbeitslosen Architekten gibt, weil deren Tätigkeit sich fast nur mehr ausschließlich auf den Entwurf, also nicht einmal mehr auf die Einreichplanung, konzentriert.

So muss man grundsätzlich einfach hinterfragen, ob Andreas Ruby seinem selbstgesteckten Ziel mit dieser kuratorischen Leistung nur annähernd nahe gekommen ist.

Die Art und Weise, den Preis wie eine Oscar-Verleihung aufzuziehen, mag „international“ gedacht sein, aber eben nur gedacht. Man spricht nämlich von Äpfeln und Birnen und schafft es nicht, die Projekte wie beim Original mit verschiedenen Kriterien für die Oscars zu nominieren, also z. b. nach dem sozialen Anspruch, der Nachhaltigkeit, der regionalen Bedeutung, der Originarität der Architektursprache, der Vision, u. v. m.. Genau das aber wäre als Beurteilungsgrundlage und Rechtfertigung für eine auszeichnungswürdige Architektur wichtig und notwendig, denn nicht jedes Projekt kann alle Kriterien erfüllen, weil es nicht seine Aufgabe ist. Die soziale Komponente beim Grünanger kann nicht Teil des siegreichen Einfamilienhauses sein, ... Äpfel und Birne eben.
Es würde jetzt aber zu lange dauern, dies hier weiter zu erläutern.

Und ist es nicht Voraussetzung, dass ein mit einer solchen Preisvergabe beauftragter Kurator die regionale Szene im Ganzen kennen sollte? Der einzige Unterschied zu früheren Preisvergaben ist lediglich der, dass an Stelle einer mehrköpfigen Jury, nun eine Person auswählt. Die Vorgehensweise für die Erstellung einer Projektliste wurde beibehalten, es muss eingereicht werden. Warum es dem Kurator schwer machen, wenn’s einfach auch geht.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der steirischen Architektur, also mit deren Geschichte und der u. a. daraus resultierenden gegenwärtigen Situation wurde von ihm nicht verlangt oder nicht erwartet.

Durch die Einreichung wird ein Filter „installiert“, den es nicht geben sollte. Ein ernsthafter Kurator würde das von sich aus durchbrechen, die Möglichkeit hätte er gehabt und sogar angekündigt.
Alle größeren nominierten Projekte sind Investoren-Projekte. Wo sind die Schulen, Kindergärten, Spitäler, Altersheime? – nicht eingereicht, nicht gesucht, nicht gefunden? Wenn letzteres, dann wäre der Hinweis auf deren Inexistenz ein mehr als deutliches Signal an die Politik - auch das kann die Botschaft eines Kurators sein.

Was sollen uns die Bilder erzählen?
Die bildhafte Übersetzung der „Kriterien“ des Kurators?
Inszenierte Kunstfotografie vor dem Hintergrund „Architektur“?
Tauscht man hier nicht nur nüchterne / unbelebte Architekturfotografie (die man nur bedingt zu Recht kritisiert) gegen fashionable "Kunstfotografie" aus?
Ein tatsächliches soziales Umfeld zu dokumentieren ist etwas anderes. Das ist harte Arbeit und kostet vor allem auch wieder Zeit. Beides konnte oder wollte man nicht investieren.
Wenn man ein Bild kennt, kennt man alle.
Das heißt mehr schlecht als recht inszenierte Bildfolgen, die durchschaubar, beliebig und austauschbar sind, wo die Architektur völlig in das Nichts des Bildes gerückt wird.
Die Erkennbarkeit (der Qualitäten) ist nicht mehr gegeben. Egal, Hauptsache alles schön bunt, möglichst originell und ein bisschen „Fun“.
Der Teufel wird mit dem Belzebuben ausgetrieben.

Dass es ein interessantes Buch geworden ist mag ja sein – zu wünschen ist ihm, dass es nicht auf Coffee Tables landet.

Eine kritisch-tiefergehende Auseinandersetzung mit diesen Punkten und vielleicht noch mehr hätten wir uns von einer Rezension des Kataloges gewünscht.

Verfasser/in:
Feyerlik / Fritzer, freie Meinung
Matthias Kahlert

Dass das „Thema Satteldach … für die Architekturentwicklung in der Steiermark „gegessen“ ist.“ kann man nicht unwidersprochen stehen lassen. Bloß weil es vor 20 oder 30 Jahren (und wohl davor und seither auch noch weitere) Beispiele für qualitätvolle Architektur mit Satteldach gab, folgt daraus noch lange nicht, dass sich *die qualitätvolle Architektur* im ländlichen Siedlungsgeschehen in irgendeiner Form durchgesetzt hätte. Ein Blick in die Landschaft beweist das Gegenteil. Dominant ist nach wie vor die ungebremst fortschreitende Zersiedlung durch allerlei häßliche Sattel-, Pult- und sonstige dachförmige Häusln, bei deren Genese Architekten üblicherweise genau 0% Büroleistung beauftragt bekommen. Das ist das Umfeld, in dem das Preisträgerprojekt zu sehen ist. Wohl auch stellvertretend für andere einfühlsame und landschaftsschonende Projekte (wie auch die zwei genannten) wurde hier die Tatsache ausgezeichnet, dass hier *überhaupt* - mithilfe von Architekten - qualitätvolles Bauen gelungen ist. Wer beklagt, dass „nur bis zur Einreichung“ beauftragt wurde, möge bedenken, dass in 95% des ländlichen Häuslbauens die Beschäftigung eines Architekten überhaupt nicht in Erwägung gezogen wird. Auch wenn der Architekturpreis des Landes Steiermark keine PR-Veranstaltung der Architektenkammer ist und daher die Marktchancen der Architektenschaft nicht primäres „Förderziel“ sein können, sehe ich in der Signalwirkung diese Preises durchaus auch die Chance, in einem der größten Problemgebiete zeitgenössischen Bauens, nämlich der qualitätlosen Zersiedelung unserer Landschaften, etwas mehr Bewußtseinsbildung des „Pulikums“ zu erreichen. Ich denke, so in etwa ist der Preis auch gemeint.
Zu den Bildern: Einige Kollegen tun sich offenbar schwer damit, wenn ihre Bauwerke nicht als topgestylte „Hauptdarsteller“ auftreten dürfen, sondern als das, was sie im „wirklichen Leben“ für ihre Bewohner und Benutzer sind: als – hoffentlich hervorragende – Kulissen. Eine Sichtweise, die andere und ebenso wertvolle Perspektiven eröffnen kann als die gewohnte architektonische Hochglanz-Nabelschau.

Fr. 30/10/2009 10:24 Permalink
Cornelius Wagner

Da sehen die Herren Feyferlik und Andexer wohl ihre Felle davonschwimmen, anders sind diese Kommentare(?) wohl nicht zu verstehen. Die alteingesessenen und arrivierten Herren bekommen von dem jungen Vorstand des HDA einen gleich jungen Berliner vorgesetzt, der ihren sinnentleerten und langweiligen Detailfetischismus nicht schon wieder prämieren will. Da ist natürlich Feuer auf dem Dach (nur die Einreichplanung !!!), da ist dann plötzlich alles schlecht und Heerscharen von arbeitslosen Architekten drohen in der Ferne. Die Jungen drängen nach und wollen sich nicht an unsere Regeln halten, das wird ja jetzt langsam unangenehm - vielleicht bräuchte man doch eine Homepage ???

Do. 29/10/2009 5:24 Permalink
Christian Andexer

Bürgerliche Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung, Biedermeier des Geistes waren scheinbar der Vater des Gedankens für die Auswahl der prämierten Arbeiten. Ohne diesen die Qualität absprechen zu wollen, wurden sie doch für diese Zwecke instrumentalisiert. Ein wahrhaft realpolitscher Preis... Auf jeden Fall aber kein Preis für eine kulturelle und gesellschaftpolitische Auseinandersetzung mit dem Architekturschaffen heute.

Do. 29/10/2009 3:56 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+