01/09/2009
01/09/2009

Prof. DDr. Ibrahim Abouleish: „Man sagt immer Nachhaltigkeit sei nicht wirtschaftlich. Ich sage: Ganz im Gegenteil!“, Foto:(c) GKnaus

Über ethisches Wirtschaften, das lange Warten auf Kooperationen mit Graz, die neue Universität Heliopolis in Kairo und die enge Verbindung von Arbeit und Leben. Alternativer Nobelpreisträger Ibrahim Abouleish im Gespräch mit Gerlinde Knaus.

G.K.: Herr Prof. Abouleish, was können europäische Unternehmen von Sekem lernen?

Meinen Sie, ich kann die Frage beantworten?

G.K.: Sie haben einen engen Graz-Bezug, Sie haben an der TU Graz vor 40 Jahren promoviert und sind seit über 30 Jahren mit Sekem erfolgreich. Ihr Unternehmen ist inzwischen zur Holding angewachsen und sie kooperieren mit arabischen Ländern genau so wie mit den USA. Warum kommt es erst jetzt zu einer Zusammenarbeit mit den Grazer Unis?

Wir haben gewartet, bis Graz uns wahrnimmt und erkennt. Wir übten Geduld. Entwicklung braucht Zeit.

G.K.: Hat man hier in Sachen Kooperationen und Synergien wichtige Entwicklungen verschlafen?

Ich würde es nicht verschlafen nennen. Graz hat eine gute Entwicklung gemacht und wir freuen uns, dass wir hier Freunde haben.

G.K.: Graz hat nun den „richtigen Zeitpunkt“ erkannt?

Jetzt. Ja.

G.K.: Warum gerade jetzt?

Die Heliopolis Universität in Kairo startet 2010. In diesem Zusammenhang haben die TU Graz und die KFU Graz im Jahre 2008 ein „Memorandum of Understanding“ für die wissenschaftliche Kooperation unterzeichnet. Diese Kooperation ist erst jetzt fruchtbar und möglich und es gibt nun eine Reihe von Projekten für die nachhaltige Entwicklung an den vier Grazer Universitäten. Kooperationen mit steirischen Unternehmen gibt es ja schon länger.

G.K.: Um welche konkreten Projekte mit steirischen Unternehmen handelt es sich dabei?

Wir arbeiten mit steirischen Wirtschaftsunternehmen auf den Gebieten der nachhaltigen Entwicklung, der erneuerbaren Energie und der Landwirtschaft zusammen. Zum Beispiel entwickeln für Sekem Experten des steirischen Öko-Clusters eine nachhaltige Lösung für die dezentrale Energieversorgung. In Zukunft können wir österreichisches Know-How zur Begrünung ägyptischer Wüstengebiete nützen. Der Öko-Cluster wird die ägyptische Situation evaluieren und Projekte umsetzen. In einem weiteren F&E-Projekt geht es um die Bekämpfung von Pathogenen und die Kommerzialisierung von verbesserter biologischer Kontrolle. Gestern gründeten wir eine Firma, um für verschiedene Städte in Ägypten und Europa erneuerbare Energielösungen zu kreieren.

G.K.: Stehen Nachhaltigkeit und erfolgreichen Wirtschaften einen Widerspruch dar? (vgl. mit der von Ibrahim Abouleish autorisierten „Niederschrift zur Veranstaltung am 18. Jänner 2008“, von der Uni Graz, Institut für Geografie und Raumforschung - Anm.)

Das ist ein Vorurteil! Eigentlich kann es nur so gehen. Es gibt Statistiken zur Lebensdauer von Betrieben. Der Durchschnittswert beträgt zirka 12 Jahre. Wenn ein Betrieb erfolgreich wirtschaftet, muss er sehr ethisch wirtschaften ... Man sagt immer, Nachhaltigkeit sei nicht wirtschaftlich. Ich sage: Ganz im Gegenteil! Ethisches Wirtschaften ist nicht immer offensichtlich – also wenn biologische Rohstoffe produziert und als Arzneimittel, Lebensmittel und organische Kleidung auf den Markt gebracht werden. Es ist nicht so, dass man nur für den Eigenbedarf produziert, sondern auch für den Markt. In Sekem haben wir uns nach dem gerichtet, was die Menschen wirklich brauchen. Wichtig ist immer die Qualität. Und es erfordert sehr viel ethisches Handeln, damit Lebensmittel auch wirklich Leben fördern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass man materiell reicher wird, wenn man anderen und der Umwelt dient. Ein Teil des Profites wird an die Sekem gespendet, an die Development Foundation für Erziehung, Ausbildung, Kunst, Forschung und medizinische Versorgung der Menschen. In Sekem werden 600 Schüler ausgebildet und 36.000 Patienten werden im Medical Center jedes Jahr versorgt werden.

G.K.: Ein stark personenbezogenes und kulturabhängiges Modell wie Sekem kann sicher nicht eins zu eins in ein anderes Land übertragen oder kopiert werden. Welche Anregungen gibt es da für Unternehmen?

Unternehmen können nicht wiederholen, was wir in Ägypten gemacht haben, sondern sie können nur nach eigenen Wüsten suchen und dort Neues hervorbringen. Auch hier braucht man Innovationen. Was man schon immer hatte und immer wieder tradiert hat, führt zur leeren Wiederholung. Das notwendig Neue muss durch Forschung gefunden werden.

G.K.: Apropos Innovationen. Wie sehen Lehre und Forschung an der neuen Heliopolis Universität Uni aus?

An der Helipolis Universität wird interaktiv unterrichtet, das heißt, Studierende nehmen aktiv am Unterricht teil und geben Professoren Anregungen. Außerdem wird es Konsortien geben, wo mehrere Disziplinen zusammenarbeiten. Enorm wichtig sind für uns die Praxis-Orientierung, die Interdisziplinarität und die Nachhaltigkeit. Wir legen Wert darauf, dass die Industrie sich an der Forschung beteiligt. Sie sollen die Studierenden kennen. Persönlichkeitsbildung ist uns wichtig, aber auch die lösungsorientierte Lehre.

G.K.: Forschung zwischen Grundlagen und Anwendung – ein Sowohl-als-auch?

Ja, absolut! Eine zentrale Aufgabe unserer Universität ist die Balance von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung. Jahrzehntelang ging es nur um Grundlagenforschung, und es war nicht interessant, was dabei herauskommt. Jetzt sollten die Grundlage auch angewendet werden – deshalb sehen wir die anwendungsorientierte Grundlagenforschung als unseren Auftrag.

G.K.: Und die verbürgte Freiheit der Forschung – besteht nicht die Gefahr, dass die Industrie die Lehrpläne bestimmt?

Wozu haben wir überhaupt Unis? Die Gesellschaft braucht Innovation und Unis sollten Innovationen vorantreiben.

G.K.: Europäische Sekem-Besucher sind beeindruckt von der Entwicklung der Farm, aber die so genannten Morgenkreise finden sie doch etwas autoritär. Was antworten Sie auf diese Kritik?

Europäer haben ein ganz anderes Bewusstsein von Zeit und Arbeit. Wir haben diese Trennung nicht, weil Zeit und Arbeit vom Ganzen her betrachtet werden. Jeder Mitarbeiter gibt bei den Morgenkreisen einen kurzen Bericht über seine Arbeit. Dieses feste Ritual fördert das Gemeinschafts- und Verantwortungsgefühl. Eine Ökonomie ohne Ethik gibt es für uns nicht, denn in erster Linie geht es bei der Arbeit um Menschen und um die Umwelt. Nicht Konkurrenz, Kämpfe, Überleben stehen im Vordergrund, sondern die zentrale Frage lautet für uns, wie könnten wir Wirtschaftsmenschen soziale Verantwortung für unsere Entwicklung übernehmen? Hier gibt es kulturelle Unterschiede. In Afrika hat man dafür andere Herangehensweisen als in Mitteleuropa. Zum Beispiel gibt es in Mitteleuropa in jedem Dorf Musikschulen. Das europäische Bewusstsein ist ein anderes als das afrikanische.

G.K.: Wir leben in Europa in einer arbeitszentrierten Gesellschaft. Wie kann man sich diese Verbindung von Zeit, Muße und Arbeit vorstellen?

Arbeit allein ist schlecht. Arbeit und Muße ist gut. Muße allein ist auch schlecht und nicht menschlich. Es ist eine Frage des Menschenbildes und der Werte. Wir müssen uns die Fragen stellen, wer wir sind und woher diese Urteile und gesellschaftlichen Konstruktionen kommen? Wir Menschen sind verantwortlich dafür, die Balance zwischen Himmel und Erde wiederherzustellen. Das gehört auch zu unserem pädagogischen Konzept in den Schulen. Die Kinder sollen nicht alles aufwändig lernen, sondern sie sollen mit Ehrfurcht gegenüber der Schöpfung erzogen werden. Sie sollen nicht nur intellektuell mit dem Kopf sondern auch mit dem Herzen durch künstlerische Übungen lernen. Sie sollen praktisch tätig werden und mit den Händen alles erfassen und das, was sie theoretisch lernen, auch erfahren. Das Motto lautet: Schauen und Schaffen. Durch diese ganzheitliche Erziehungsmethode werden sie zum Frieden erzogen. Das lehrt uns der Islam.

G.K.: Danke für das Gespräch!

Ibrahim Abouleish ist Absolvent der TU Graz, an der er vor 40 Jahren promovierte. Er wurde im Jahre 2003 von der Schwab-Stiftung (Partner des Weltwirtschaftsforums in Davos) als „Social Entrepreneur" ausgezeichnet. Im selben Jahr gewann die von ihm gegründete Sekem-Initiative den Alternativen Nobelpreis als Unternehmensmodell für das 21. Jahrhundert.

Verfasser/in:
Gerlinde Knaus, Interview
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