16/06/2025

Während ihrer nahezu 50-jährigen Tätigkeit als Architektin in Graz hat Ingrid Mayr die Architekturentwicklung der Stadt miterlebt und mitgeprägt. Die Liste an Projekten, die sie zunächst mit ihrem Mann im gemeinsamen Büro, später eigenständig realisierte, ist lang und reicht von Ausstellungsgestaltungen und Museumsumbauten über Revitalisierungsprojekte bis hin zu Schulen, Einfamilienhäusern, Sakralbauten und öffentlichen Platzgestaltungen.

16/06/2025

Ingrid und Jörg Mayr, Zeremonienhalle am jüdischen Friedhof Graz-Wetzelsdorf, © Archiv der TU Graz, Sammlung Büro Mayr (Foto: Bernhard Hohengasser)

Architektin Ingrid Mayr (1939–2023) in den 1980er Jahren, © Archiv der TU Graz, Sammlung Büro Mayr (Foto: Bernhard Hohengasser)

Ingrid Mayr mit Kollegen im AZ 4 zu Beginn der 1960er Jahre, © Archiv der TU Graz, Sammlung Herbert Missoni

Ingrid und Jörg Mayr, Ausstellungsgestaltung Trigon 1971, Bruno Munari im Künstlerhaus Graz, aus: Domus 496 (1971)

Ingrid und Jörg Mayr, Afroasiatisches Institut, Graz, Foyerbereich, Farb- und Lichtgestaltung zusammen mit Jorrit Tornquist, © Archiv der TU Graz, Sammlung Büro Mayr (Foto: Bernhard Hohengasser)

li: Ingrid und Jörg Mayr, mobile Überdachung der Schlossbergkasematten Graz, re: Aussichtsplattform Maßenburg Leoben, © Archiv der TU Graz, Sammlung Büro Mayr (Fotos: Bernhard Hohengasser)

Ingrid Mayr, Umgestaltung der Haupt- und Volksschule St. Johann in Graz-Mariatrost, © Archiv der TU Graz, Sammlung Büro Mayr (Foto: Bernhard Hohengasser)

Ingrid Mayr, Renovierung und Innenraumgestaltung der Marienkapelle Stift Rein, 2007, © Archiv der TU Graz, Sammlung Büro Mayr

Ingrid und Jörg Mayr, Wohn- und Atelierhaus Mayr, Graz, 1987, © Archiv der TU Graz, Sammlung Büro Mayr

Meine persönliche Verbindung zu Ingrid Mayr begann im Frühjahr 2023, als ich im Rahmen meiner Tätigkeit für das Architekturarchiv Steiermark der TU Graz mit ihr eine Fülle von Plänen, Projektdokumenten und Fotos zu sichten und zu sortieren begann. Mit dem Ziel, ihren Vorlass für die Archivübergabe vorzubereiten, arbeiteten wir fünf Monate gemeinsam an diesem umfangreichen und schönen Vorhaben.

Studienzeit und erste Aufträge

Ingrid Mayr, geboren 1939 als Ingrid Gilli Wittek-Saltzberg, verbrachte ihre Kindheit und Schulzeit in Graz und inskribierte nach der Matura 1957 Architektur an der Technischen Hochschule Graz. Schon bald wurde sie Mitglied des Zeichensaals AZ4, wo sie, wie viele Kolleg*innen, prägende Freundschaften schloss, von denen einige lebenslang hielten – nicht zuletzt die Arbeits- und Lebensgemeinschaft mit Jörg Mayr, ebenfalls Mitglied des AZ 4, den sie 1966 heiratete.

Eine der für sie wichtigsten Lehrerpersönlichkeiten an der TH Graz war, neben Karl Raimund Lorenz und Hubert Hoffmann, vor allem Viktor Winkler, der „Plastisches Gestalten“ unterrichtete und als Architekt und kunstaffiner Anthroposoph eine eingeschworene Gruppe von Studierenden um sich versammelte. Auch Ingrid und Jörg Mayr gehörten zu diesem Kreis und nahmen an den zahlreichen „Privatissima“ in Winklers Atelier, den Diskussionen, Vorträgen und Exkursionen teil.

Winklers Vermittlung anthroposophischer Grundsätze hat ihre Haltung gegenüber architektonischer Sprache, Raumkonzeption, Materialwahl und Farbgestaltung geprägt. Der Mensch als unbedingter Maßstab von Architektur und Städtebau und die Angemessenheit von Konstruktion, Form und Aussage, vor allem in Zusammenhang mit historisch relevanten und zeitgeschichtlich belasteten Bauaufgaben, waren Grundsätze Winklers, denen das spätere Büro Ingrid und Jörg Mayr weitgehend verpflichtet blieb.

Nach Studienabschluss begann Ingrid Mayr für das Bauunternehmen Mayreder zu arbeiten, Jörg Mayr wurde Assistent am Institut für Raumgestaltung. Parallel dazu realisierten sie erste gemeinsame Projekte, wie die Innenraumgestaltung der Szenedisko „Push N´Pull“, die Cafeteria der katholischen Hochschulgemeinde und zahlreiche Ausstellungsgestaltungen, unter anderem für fünf Trigon-Ausstellungen von 1971 bis 1979.

Das Architekturbüro Ingrid und Jörg Mayr

1976 gründeten Ingrid und Jörg Mayr ihr eigenes Architekturbüro in Graz und setzten erste größere Aufträge um, wie die Erweiterung des Josef-Krainer-Hauses oder die Umgestaltung des Afroasiatischen Instituts.

Grob zusammengefasst lagen in den darauffolgenden 1980er und 1990er Jahren die thematischen Schwerpunkte des Büros auf dem Bauen im historischen Bestand, auf der Gestaltung öffentlicher Plätze, wie dem Färberplatz oder dem Jakominiplatz in Graz, und auf der Neu- und Umgestaltung sakraler Räume.

Auf die Frage, ob es in ihrem gemeinsamen Büro eine klare Arbeitsteilung gab, meinte Ingrid Mayr: „Nein, wir haben beide alles gemacht, immer zusammen – am Prozess vom Entwurf bis zur Ausführung waren wir beide gleichermaßen beteiligt, wir waren ja ein kleines Büro und wollten das auch bleiben. Aber vielleicht hat mein Mann eher die Vertretung nach außen übernommen, ich hab´ im Büro die Fäden gezogen.“

Die Adaptierung öffentlicher Bildungs- und Museumseinrichtungen umfasste historisch prominente Gebäudekomplexe in der Grazer Altstadt, wie den Ausbau des Karmeliterklosters zum Steiermärkischen Landesarchiv oder die Umgestaltung des Grazer Stadtmuseums (GrazMuseum).

Zwei Revitalisierungsprojekte, die mobile Überdachung der Kasematten am Grazer Schlossberg 1987 und, etwa 10 Jahre später, die Umgestaltung der Maßenburg in Leoben, gehen zwar von unterschiedlichen Nutzungsanforderungen aus, sind aber in ihrem Umgang mit dem historischen Bestand und ihrem zurückhaltenden, additiven Vorgehen vergleichbar. Bei beiden Projekten bleibt die historische Bausubstanz weitgehend unangetastet und wird durch filigrane, aufgesetzte Stahlkonstruktionen mobil überspannt, bzw. bei der Maßenburg Leoben durch aufgesetzte Stahltreppen und Aussichtsplattformen begehbar gemacht.

Sakrale Architektur war ein weiteres zentrales Thema, mit dem sich das Büro Mayr immer wieder intensiv auseinandersetzte. Zahlreiche Umgestaltungen von Kircheninnenräumen wie dem Grazer Dom, der Leechkirche, der Malteserkirche in Wien oder der Kapelle im Grazer Priesterseminar sahen neben bauhistorisch konservatorischen Eingriffen meist zurückgenommene baukünstlerische Umgestaltungen von Altarbereich und Möblierung vor.

Die Neudeutung religiöser Symbolik im jüdischen wie im christlichen Kontext und ihre zeitgemäße Formulierung als konstruktives Element prägten die Projekte für die israelitische Kultusgemeinde Graz und die Kreuzinstallationen im öffentlichen Raum im Auftrag der katholischen Kirche, etwa im Grazer Stadtpark und im Wiener Donaupark.

Beim Neubau der Zeremonienhalle am jüdischen Friedhof in Graz-Wetzelsdorf und dem Bau einer neuen Synagoge auf dem Terrain der 1938 vernichteten Synagoge aus dem 19. Jahrhundert stand das Bemühen um einen angemessenen, geschichtsbewussten Umgang mit baulichen Resten zerstörten jüdischen Kulturguts im Vordergrund. So wurde als formale Übersetzung die neue Synagoge innerhalb der freigelegten Grundmauern des zerstörten Vorgängerbaus errichtet und erhaltenes Ziegelmaterial für Teile des Neubaus wiederverwendet.

Die Kuppel als Symbol „für das Firmament über dem Geviert des irdischen Raums“ (Jörg Mayr, Projektbroschüre 1991) wurde zentrales Motiv beider Projekte, auch wenn sie sich in konstruktiven Mitteln und Materialien unterscheiden.

Das Architekturbüro Ingrid Mayr

Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes 1999 führte Ingrid Mayr das Architekturbüro alleine weiter. Es gelang ihr, die noch gemeinsam begonnenen Projekte fertigzustellen und auch den am Beginn der Ausführungsphase stehenden Bau der Synagoge bis Herbst 2000 planmäßig abzuschließen.

Noch im selben Jahr gewann sie den Wettbewerb für die Umgestaltung der Haupt- und Volksschule St. Johann in Graz-Mariatrost. Neben der Realisierung dieses Schulprojekts widmete sich Ingrid Mayr in den folgenden 15 Jahren verstärkt denkmalpflegerischen Projekten, darunter die Restaurierung des Grazer Mausoleums und die umfangreiche Innenrestaurierung der Basilika in Stift Rein.

Nach Ingrid Mayrs Tod im Oktober 2023 setzte ich die Aufarbeitung des Nachlasses in ihrem ehemaligen Büro fort – ein unprätentiöser Ort, den ich zu schätzen gelernt habe. Die zwei getrennten Gebäude des Wohn- und Atelierhauses sind linear angeordnet und durch einen überdachten Terrassenbereich verbunden. Die offene Raumfolge des langgestreckten Ateliers wird durch Niveausprünge, wechselnde Raumhöhen und raumteilende Elemente gegliedert. Das offene, holzverschalte Mansarddach dominiert den kleinen, hellen Hauptraum, den eine Holztreppe mit dem Galerieraum verbindet.

Das 1987 fertiggestellte Wohn- und Atelierhaus spiegelt eine architektonische Haltung wider, die vielen Bauten von Ingrid und Jörg Mayr zugrunde liegt – selbst bezeichneten sie diese funktionale, zurückhaltende Gestaltung in einem Interview als „bewusste Unaufdringlichkeit“, die auf materialgerechte, detailgenaue und innovative Lösungen achtet und „unaufgeregt“ den menschlichen Maßstab in den Vordergrund stellt.

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Dieses Architektinnenportrait erscheint in der Reihe Architektinnen in/aus Graz – Ins Licht gerückt, 20. Jahrhundert (Projektleitung: Antje Senarclens de Grancy). Weitere Portraits lesen Sie >>> hier

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