26/01/2011
26/01/2011

Architekt Klaus Kada. (Fotoquelle: www.kleinezeitung.at)

AKTUELLES PROJEKT: Hauptbahnhof Wien, Sonnwendviertel - Bauplatz C.01 win4wien Bauträger GmbH; Planung: Univ.Prof. Arch. DI Klaus Kada, Riepl Riepl Architekten, DI Bernd Vlay und Mag. arch. Karoline Streeruwitz. (Details zum Projekt siehe LINK am Ende dieser Seite)

Der Grazer Architekt Klaus Kada wurde am 9. Dezember 2010 mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen des Landes Steiermark ausgezeichnet und feierte elf Tage später, am 20. Dezember, seinen 70er. Maria Nievoll erzählte der bekannte und geschätzte Architekt von dem, was ihn gerade beschäftigt.

Eine Jury in Kärnten
Ich komme gerade von einem Kolloquium für die Jury eines Zubaus zu einer Schule aus den 60er Jahren in Kärnten, wo nur fünf Architekten, davon vier aus Kärnten, eingeladen waren. Ich habe verlangt, unbedingt doppelt so viele einzuladen, damit eine größere Auswahl für das beste Projekt möglich ist. Einer hat dann gebissen, aber bei Projekten dieser Größenordnung geht es um viel Geld, und um öffentliches Geld, da müssen die besten Voraussetzungen geschaffen werden. Es ist mir mit einiger Mühe gelungen, sie zu überzeugen, ohne mich dem immerwährenden Vorwurf auszusetzen, der große aggressive Zampano zu sein!

Ein Vortrag in Kattowitz
Ich habe gerade in Kattowitz, Schlesien, einen Vortrag gehalten. Dort wurde in und nach der Zeit der Industrialisierung eine riesige Industrie aufgebaut, auch der Handel blühte. Kattowitz liegt auf einem Schnittpunkt zweier wichtiger Verbindungsachsen Nord-Süd und Ost-West wie auf der Seidenstraße, mit großem Austausch und vielen verschiedenen Nationalitäten. Das alles kann an den zahlreichen Architekturen der Moderne abgelesen werden. Krakau dagegen war immer bürgerlicher als Kattowitz. In Kattowitz ist die Durchdringung von Stadt und Industrie eine engere und hat mich sehr an das Ruhrgebiet erinnert. Ein interessantes Projekt der Moderne ist Thomas Puchers Konzerthaus, von dem ich begeisterte, positive Kritiken gehört habe (Konzerthaus in Warschau, Anm. d. Red.). Es ist ein sehr schöner Entwurf, der städtebaulich eine interessante Lösung für eine historische Zone präzis definiert.
Adam Budak hatte mir schon erzählt, dass im eher bürgerlichen Krakau das Interesse an moderner Kunst und ständiger Erneuerung sehr groß ist. Kattowitz dagegen ist auch städtebaulich enger mit der Industrie vernetzt und verflochten, was sich in zahlreichen Bauten aus der Hochblüte der Wirtschaft darstellt.
Leider hat man nie genug Zeit für intensive Analysen. Ich hatte aber das Glück, eine sehr gute Führung durch die Stadt zu haben und konnte mir daher von der Stadt ein sehr gutes Bild machen. Gerade diese Anlässe sind mir sehr wichtig – wie die Architektur auch – und ich betrachte sie als zweiten Bildungsweg.
Die lange Zeit des Kommunismus in Polen ist nicht spürbar in der Stadt, wohl aber in der Peripherie mit ihren Plattenbauten. Die neu gebauten Einkaufszentren, die wie alle Einkaufszentren in Europa überrannt werden. Jeder Kattowitzer, jede Kattowitzerin kennt den Ausdruck „kaufen, kaufen, kaufen“.

Geschichten erzählen als Methode
Ich habe vor langer Zeit ein Buch über Friedrich II. gelesen, der seine Erkenntnisse nicht behütet in adeliger Umgebung sondern von den Geschichtenerzählern auf der Straße erworben hat. Das waren seine eigentlichen Lehrer. Mit dieser Erfahrung durch die Geschichtenerzähler und die mehrdeutigen Informationen konnte er die Gesellschaft mit den verschiedenen Religionen weit besser interpretieren als mit adeligen Lehrern. Friedrich II. ist später mit einer ganzen Menagerie durch Süditalien gereist und überhaupt viel gereist, auch, um Aufsehen zu erregen und das Interesse des Volks auf sich zu lenken.
Sokrates Dimitriou konnte gut Geschichten erzählen, er wusste z.B. viel über die Wiener Gesellschaft und hat immer das Private dieser Gesellschaft in seine Vorlesungen eingeflochten, was diese unglaublich interessant machte. Diese Methode ist für das Merken und Lernen einerseits und für das Herstellen von Beziehungssystemen andererseits sehr gut geeignet. Auf der Hochschule haben sie mich gefragt, warum ich diese Geschichten immer miterzähle, Monroe, Bauhaus, russische Architektur, Malerei usw. Ich habe diesen Ansatz strukturiert und methodisiert und gezielt ein Leseseminar eingeführt, in dem zwei bis sechs Studenten interpretieren mussten, was sie gelesen hatten. Das Resultat war dann der Anlass zum Programm. Peter Weibel beispielsweise erzählt in unglaublichem Tempo, stellt ununterbrochen Bezüge her, und man hat Mühe, ihm zu folgen, aber es bleibt unglaublich viel hängen. Gerade darauf kommt es an: das Verstehen und das Wissen wird mehr. Die Möglichkeit einer eigenen Interpretation wird dadurch um vieles größer. Dann lernt man sich selbst schneller kennen und gewinnt eine größere Souveränität. Die Menge der Informationen liegt jetzt ja in einer Menge auf dem Tisch, wie es noch nie der Fall war. Ausbilden erfordert deshalb, völlig neue Zugänge zu entwickeln.

Die Bedeutung der 68er
In Spanien hat es 400 Jahre lang keine Bibliothek gegeben. Der König hat sich aus Prestigegründen wie andere Häuser in Europa auch eine Bibliothek gebaut, aber die Bücher waren nur geschnitzte Bücherrücken, man sieht das im Escorial. Die konservative katholische Gesellschaft hat ihre Bildung unter der Kutte versteckt. In der Zwischenzeit hat sich nicht sehr viel geändert – nach der 68er Idee, die ja eigentlich ganz gute Ansätze für das Bildungssystem hatte, wird jetzt die Bildung ungemein geschickt hinter der konservativen Politik, hinter der Parteipolitik versteckt. Der kleine Zwischenschritt, der in der Steiermark mit dem Modell Steiermark passiert war, war ein echter Aufschwung für eine kulturelle Zukunft, aber jetzt sind wir leider wieder in der Zeit der 50er, 60er angelangt. Daran erkennt man, dass es wichtig ist, welche Politik gemacht wird. Insofern waren die 68er unheimlich wichtig: das Modell Steiermark, das uns die Freiheit geboten hat, dass wir das Wie erfinden konnten.

Jetzt haben wir noch nicht über Architektur gesprochen.
Kulturell interessierte Personen sind ja heute egal und unwichtig geworden, es wird alles nur mehr nach Geld oder Machtpolitik gemessen. Man erkennt diese Situation schon am Sprachduktus. Aus der Wahl der Worte und wie sie sich winden, weiß man schon, wie sie denken: infantil, einfältig und machtgierig. Das können wir uns aber nicht leisten.
Der soziale Wohnbau war für mich auch ein Anlass, mich mit Architektur auseinanderzusetzen. Im sozialen Wohnbau ist öffentliches Geld, das der Gesellschaft dienen soll. Wenn Geld an Menschen verteilt wird, dann beanspruche ich meine Stimme und meine Kontrolle. Ich bin in einer staatlichen Hochschule ausgebildet worden, und diese Haltung vertrete ich auch. Wenn ich das aber konsequent lebe, dann bin ich gleich der Krowott der Gesellschaft.
Jetzt haben sie das antikulturelle und Nichtbildungssystem an die Spitze des Staates gebracht. Das ist die Ernte der Unkultur. Nicht einmal im primitivsten Gasthaus diskutieren sie wie im Parlament. Das ist die antikulturelle Einstellung einer 40-jährigen österreichischen Politik. Die haben keine Idee und tun nichts, und wenn sie die Hosen voll haben, weil eine Entscheidung ansteht, lassen sie Gutachten erstellen, die sie ihren eigenen Leuten zuschanzen.

Das Wiener Projekt Sonnwendviertel: 140 Sozialwohnungen
Schon bei den ersten Kontakten mit den Architekten und Bauträgern hat sich herausgestellt, dass es hier eine Möglichkeit gibt, etwas anderes zu produzieren als eine steirische Genossenschaftsarchitektur. Aus den vielen Gesprächen entstand ein Identität stiftendes Konzept. Das heißt, es wird angestrebt, dass jeder und jede, der bzw. die dort wohnt, das Gefühl hat, in einem bestimmten Viertel, in einem bestimmten Haus, also SEINEM oder IHREM Viertel und SEINEM oder IHREM Haus zu wohnen, und dass er oder sie stolz darauf ist. Er oder sie soll das Gefühl haben, nach Hause zu kommen. Das war der Grundansatz.
Die Wohnbauprojekte in ihrer Gesamtheit sollen sich als „Wohn_Zimmer“ darstellen. Das bedeutet, dass die Außenräume ein Teil der Wohnung mit vielen differenzierten Privat- und öffentlichen Zonierungen sind. Dazu ist generell zu sagen:
Das Problem der Wohnungen ist eine Sache der Finanzierung und des Sich Leisten-Könnens. Viele Wohnfunktionen und deren differenzierter Anspruch sind mit Kleinflächen sehr schwer zu erfüllen. Die Idee war nun, gewisse Funktionen, die in der Wohnung keinen Platz haben, nach außen zu verlagern und einer Hierarchie von Privat bis Öffentlich zu unterstellen. Es entstand eine sehr große Anzahl von Gemeinschaftsräumen, die man privat und öffentlich nutzen kann: ein Wellnesscenter mit Schwimmbad, Sauna und Nebeneinrichtungen mit ca. 1000 m2, eine 183 m2 große Gemeinschaftsküche zum Feiern und eine Bar, eine Bibliothek, ein Heimkino, ein Jugendraum, ein Musikprobenraum, ein Theater mit geschlossener oder Freilichtbühne, ein Marktplatz samt Laden, eine Kletterwand über drei Geschosse, ein Leseraum, eine Spielecke für Kleinkinder, ein Durchblick/Jagdzimmer, ein Lernclub, ein vertikaler Spielplatz über drei Geschosse, Werkstätten/Ateliers, eine Fahrradwerkstatt, eine Spielhölle, ein Entree mit Housekeeper, ein Pflanzenhaus, vierhundert Autoabstellplätze, eine E-Batterieladestation, ein Carsharingkonzept. Einrichtungen auf verwertbaren Flächen sind bspw. die Tagesmutter- und die Kindergruppenwohnung, Wohngemeinschaftsplätze, Mikrobüros, Arbeitsplätze im Gemeinschaftsbüro, ein Hotel.
Die Auswahl an verschiedenen Wohnungstypen ist groß, und die ImmigrantInnen werden in hohem Maß berücksichtigt. So haben wir für moslemische Mädchen einen eigenen Raum geschaffen, in dem sie sich treffen können und Wohnungen mit zwei Eingängen im Angebot. Im 2. und 3. Obergeschoß gibt es eine zweite Erschließungsebene, die alle Gebäude miteinander verbindet. Viele Gemeinschaftsräume liegen auf diesen Brückenzonen.
Im Inneren sind die Grundrisse flexibel, da ohne Trennwände. Die Räume sind durch Schiebeschränke definierbar. So sind Küche, Wohnzimmer, Esszimmer nicht mehr voneinander getrennt, sondern es gibt eine Wohnküche für die Familie. Es gibt keinen Gang mehr, sondern eine Raumverflechtung ohne Gänge, so dass sich die Bewegungsfläche trotz ehemals kleiner Funktionsräume um ein Vielfaches vergrößert. Die Schränke sind verschiebbar, und so entsteht über die Flexibilität hinaus eine permanente Anpassung an einen speziellen Bedarf.
Alle Wohnungen sind besonnt, mit großen Terrassen. Das Erdgeschoß ist ohne Wohnungen. Geplant ist auch eine Gemeinschaftsdachterrasse. Wir achten auf eine hohe materielle und funktionelle Wohnqualität.
Städtebaulich ist dieses Projekt nach Norden, Osten und Westen geschlossen und öffnet sich nach Süden. In diesem großen Innenraum befinden sich die drei Gebäude, die sich als Metapher wie drei Möbelstücke in einem Wohnzimmer (dem großen Grünraum) darstellen.
Der Bauträger und der technische Planer gehen mit dem Konzept mit. Die Wohnbauentwicklung wird moderiert, und eine Nachmoderation durch die Bewohner ist vorgesehen: Das könnte man als HausmeisterIn-Funktion, allerdings intelligent orientiert, als Housekeeper oder OrganisatorIn, definieren. Dafür haben wir eine 2-jährige Einleitung und dann den Übergang geplant. Die Bewohner übernehmen dann selbst die Organisation.
Das Konzept integriert Beteiligungserfahrungen aus Wien und aus der Steiermark und führt so zu einer neuen Art des Wohnens. Den Wienern hat es gefallen!

GAT: Danke für das Gespräch!

BIOGRAFISCHE NOTIZ:
Univ.-Prof. Arch. Dipl.-Ing. Klaus Kada (geb. 1940; Leibnitz) besuchte die Höhere technische Lehranstalt Graz und absolvierte sein Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Graz, danach Mitarbeit in Architekturbüros in Graz und Düsseldorf und Partnerschaft mit Gernot Lauffer. Kada, der Büros in Graz und Aachen betreibt, realisierte im Laufe seiner Karriere rund 120 Projekte, darunter so bekannte Bauten wie das Vermessungsamt in Leibnitz, das Glasmuseum in Bärnbach, das neue Festspielhaus in St. Pölten, die europäische Akademie in Bozen, die Stadthalle in Graz (2002) und das neue Textilmuseum Augsburg (2010). Im vergangenen November wurde die Überdachung des Römersteigs im steirischen Lebing mit dem Österreichischen Bauherrenpreis ausgezeichnet.
Darüber hinaus war Kada bis 2006 Universitätsprofessor an der Fakultät für Architektur (Entwerfen von Hochbauten und Gebäudelehre) an der RWTH-Aachen. Seit 1992 ist er Präsident von EUROPAN Österreich und seit 2002 Mitglied des Architecture Academic Advisory Commitees der Chinese University of Hong Kong.

Verfasser/in:
Maria Nievoll, Gespräch
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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