Vom Tour Bois le Prêtre könnten Großstädte lernen, dass man Probleme lösen kann, wenn man sie im Zusammenhang behandelt – indem Wohnsiedlungen in peripheren Lagen architektonisch aufgewertet werden, ohne dass dadurch die Mieten steigen.
Dieses Konzept legten die französischen Architekten Frédéric Druot, Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal 2004 mit ihrer Studie PLUS – Les grands ensembles de logements – Territoires d’exeception vor, die in Frankreich zu großen politischen Diskussionen führte. Denn die Architekten wiesen darin nach, dass man für die gleiche Summe, die Abriss und Neubau eines Apartments kosten, drei bis vier bestehende Wohnungen modernisieren und erweitern kann. Der Beweis steht nun im Pariser Norden und blickt mit seinen 16 Etagen auf den Boulevard Péripherique: der Tour Bois le Prêtre, 1961 von Raymond Lopez als elegantes Wohnhochhaus mit Split-Level und Maisonette realisiert.
1990 im Rahmen einer haustechnischen Sanierung bis zur Unkenntlichkeit entstellt, war das Haus zehn Jahre später baulich und sozial so verwahrlost, dass der Besitzer, eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, es abreißen wollte. Der aus einem Gutachterverfahren hervorgegangene Entwurf von Druot, Lacaton & Vassal schenkte ihm schließlich ein zweites Leben: Mit wenigen Eingriffen gelang es den Architekten, über die Umnutzung der ehemals überdimensionierten Erschließungszonen größere Wohnungen und neue Serviceeinrichtungen entstehen zu lassen.
Das Haus erhielt eine neue Hülle, die gleichzeitig neuen Raum für die vorher kleinen Wohnungen schuf: Die alte Fassade wurde entfernt und zur besseren Belichtung durch raumhohe Glasschiebetüren ersetzt. Jede Wohnung erhielt einen großzügigen Wintergarten und einen Balkon. So gewann eine ehemals 44 Quadratmeter große Wohnung 26 Quadratmeter hinzu – die Miete aber blieb gleich.
Alle Bewohner, von denen einige seit 1961 in dem Haus leben, wurden in den Planungsprozess einbezogen und sind geblieben – sie wohnen jetzt besser, ohne mehr bezahlen zu müssen. So gibt das Projekt, wie auch viele andere Arbeiten von Lacaton & Vassal, eine zeitgemäße Antwort auf die Forderung des CIAM Kongresses von 1929, der die Standards für die „Wohnung für das Existenzminimum“ festlegte.
Publikation:
Ilka & Andreas Ruby, Peter Cachola Schmal (Hrsg.):
DRUOT, LACATON & VASSAL: Tour Bois le Prêtre
Erschienen im Verlag Ruby Press, 2012; ISBN: 978-3-944074-00-9
englisch / deutsch; 80 Seiten mit circa 50 Abbildungen
Mit Beiträgen von Ilka und Andreas Ruby, Karine Dana und Jeanette Kunsmann
Mit Fotos von Philippe Ruault, Frédéric Druot, Torben Eskerod und Lacaton & Vassal
Im Buchhandel: 18,- EUR
In der Ausstellung: 18,- EUR
Alle Termine im Überblick:
- 26. September 2014, 17 Uhr: Vortrag von Anne Lacaton, Aula der TU Graz
- 27. September 2014, 12 Uhr: Eröffnung der Ausstellung, HDA
- 14. Oktober 2014, 19.30: Lecture Performance Simon Allemeersch Rabot 4-358, Heimatsaal im Volkskundemuseum
Dauer der Ausstellung Druot, Lacaton & Vassal – Tour Bois le Prêtre:
27. September bis 23. November 2014
Di bis So 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen
Ort: Haus der Architektur, Mariahilferstraße 2, 8020 Graz