11/08/2011
11/08/2011

Botschaft am Dach des Kunsthauses während der Ausstellungsdauer. Alle Fotos: Emil Gruber

Billboard von Franz West

Aktion vor dem Kunsthaus zur Ausstellungseröffnung

Video über den Abriss des Ateliers Ai Weiweis im heurigen Jänner

Modell der Artfarm in New York (Ai Weiwei mit HHF architects)

Modell der Five Houses ( Ai Weiwei mit HHF architects)

“Ordos 100” Modell

Moon Chests. Alle Fotos: Emil Gruber

Zur Ausstellung AI WEIWEI Art/Architecture im Kunsthaus Bregenz.
Bis 16. Oktober 2011

Ursprünglich war Bregenz im Vorjahr an den chinesischen Künstler und Menschenrechtler herangetreten, hatte ihn eingeladen, eine Ausstellung über seine Kooperationen mit Architekten zu konzipieren: Ai Weiwei - Art/Architecture.

Im April dieses Jahres wurde Weiwei dann plötzlich in Peking wegen angeblicher Steuerdelikte verhaftet. Wochenlang war über seinen Verbleib nichts bekannt. Eine Welle internationaler Solidaritätsbezeugungen und Protestkundgebungen war die Folge. Die Regierung in China erklärte lapidar, dass sie sich bei der Verfolgung von Kriminellen jede Einmischung des Westens verbitte. Mittlerweile wurde Weiwei zwar wieder aus der Haft entlassen, aber umgehend unter Hausarrest gestellt. Interviews, sein ohnehin schon seit 2009 gesperrter, systemkritischer Blog oder andere Kommunikationsmöglichkeiten nach außen sind ihm verboten.

Bregenz war durch diese Ereignisse nun physisch der Hauptdarsteller entzogen worden, trotzdem stand eine Absage der Ausstellung nie zur Debatte. Im Gegenteil, das ursprünglich eher ästhetische Thema bekam nun einen politischen Rahmen.
„Free Ai Weiwei“ steht in roten Lettern am Dach des Kunsthauses. Billboards entlang des Bahnhofareals, von Jenny Holzer, Franz West, Olafur Eliasson und anderen gestaltet, variieren öffentlich diese Forderung weiter.
Natürlich kann davon ausgegangen werden, dass Weiwei, hätte er persönlich anwesend sein können, nicht mit kritischen Kommentaren zur chinesischen Staatsführung gespart hätte. Wer seine Biographie kennt, weiß, dass sich Weiwei schon lange in mutiger, grenzgängerischer Weise mit den unterschiedlichsten Stilmitteln gegen die Diktatur in seiner Heimat auflehnt. Die Redensart, dass es für einen Chinesen kein „Ja” oder „Nein”, sondern nur ein definitives „Vielleicht” gibt, war nie seine Taktik. Geprägt von seinem Vater Ai Qing, einem Dichter, der schon als Regimekritiker in der Mao-Ära Berufsverbot erhielt und verbannt wurde, begann auch Weiwei schon in jungen Jahren, sich gegen das repressive System Chinas zu stemmen.

Einer breiten Öffentlichkeit wurde Weiwei aber erst bekannt, als er bei der Documenta 2007 eine Installation aus alten Gebäudeteilen zeigte. Rasch sah die Kritik in seinem Beitrag einen subtilen Protest gegen die Zerstörung der Hutongs, der historischen Viertel, im Vorfeld der olympischen Spiele in Peking.

Auch seine bislang letzte Installation in der Londoner Tate Modern war ein Spiel mit Assoziationen. Die Millionen handgefertigten Porzellansonnenblumenkerne – das chinesische Symbol für Nahrung, die selbst in Zeiten größter Not mit anderen teilbar ist – sind Masse und bestehen doch aus der einzigartigen Individualität jedes Kernes. Sinnlichkeit, Kunst und politische Gegenpositionen verschmelzen regelmäßig in Weiweis Werken.

Aber sein Engagement geht weit über nur künstlerische Ausrufezeichen hinaus. Nach dem Erdbeben in Sichuan 2008 , bei dem über 70.000 Tote zu beklagen waren, deckte er Baumängel an Schulgebäuden auf, ohne die viele Opfer zu vermeiden gewesen wären. Sein Engagement ließ Weiwei schon einmal in Lebensgefahr schweben, als er bei seinen Untersuchungen von Polizisten so verprügelt wurde, dass er eine Gehirnblutung erlitt. Sarkastisch und mutig zugleich erklärte Weiwei die Computertomografieaufnahmen der Schwellung zum Kunstwerk und präsentierte Fotos davon in der Kulturzeitung „Lettre International“.

Auch Bregenz eröffnet mit düsteren Bildern. Videoinstallationen zeigen Filme Weiweis über graue Häusermeere und dicht befahrene Stadtautobahnen von chinesischen Städten, die nur trüb im tagtäglichen Smog zu sehen sind. Weiwei, der sich seit Jahren auch für den Umweltschutz einsetzt, liefert hier nur Trostloses, nichts, was eine Reise nach China attraktiv machen könnte. Gleichsam als negativen optischen Höhepunkt dokumentiert ein heimlich gedrehtes Video die Zerstörung seines neu erbauten Ateliers in Shanghai. Nachdem 2009 die Stadtregierung Weiwei noch zum Umbau des ehemaligen Fabrikareals alle Türen öffnete, wurde im Jänner heurigen Jahres „unsachgemäße Benützung“ festgestellt und umgehend der Abriss des Objektes veranlasst.

Angesichts solch spannender, ja dramatischer Präsentationen bleiben Weiweis Kooperationen mit der Architektur in der Bregenzer Ausstellung seltsam unpersönlich und widersprüchlich. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn vor nicht allzu langer Zeit der Künstler selbst meinte, dass er die Phase seiner Zusammenarbeit mit Architekten beenden und sich wieder mehr seiner ursprünglichen, künstlerischen Arbeit widmen möchte.

Weiweis Architekturkanon ist ohnehin nicht sehr groß, die sechs in Bregenz gezeigten Modellstudien beschränken sich gerade einmal auf zwei Schweizer Büros. Drei davon sind Partnerschaften Weiweis mit den HHF architects aus Basel. Zwei realisierte Objekte, die Tsai Residence Ancram und das Art Farm Salt Point, beide 2006 bis 2008 im Bundesstaat New York errichtet, sind Bauten für Kunstsammler. Ersteres ein großzügiges Wochenendhaus, bestehend aus vier nebeneinander zwar verbundenen, aber leicht voneinander abgesetzten Holzkuben, letzteres ein auch als Galerie benutztes Kunstdepot, dessen dreiteilige, hintereinander verschachtelte Struktur die Form eines klassischen, amerikanischen Stalls zitiert.

Ein markantes Zeichen von Weiwei ist bei beiden Bauten nicht zu entdecken, vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass hier Fußnoten zum eigentlichen Grund der Partnerschaft mit HHF architects, der Idee vom „Ai Weiwei House“ entstanden sind. Das diesem Projekt als Grundlage dienende, auch in Bregenz zu sehende, „Five Houses“-Konzept ist ein ganzheitlicher Lebensraum, der transdisziplinäres Arbeiten von Künstlern mit Wohnen verbindet, Privates und Öffentliches je nach Notwendigkeit trennt und wieder vermengt und kreatives Leben nach Vorstellung der Planer zu einem Gesamtkunstwerk formt.

Wesentlich spektakulärer geriet bekanntlich die Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron, den eigentlichen „Erfindern“ von Weiweis Architekturbeteiligungen. Schon früh wurde er von den Architekten als „kultureller Dolmetscher“, wie sie ihn einmal nannten, zu einer Mitarbeit an ihren China-Projekten eingeladen. Das wohl am meisten mit Weiwei in Verbindung gebrachte Bauwerk, das als „Vogelnest“ bekannte Nationalstadion in Peking für die olympischen Spiele 2008, ist auch prominent in einer Vielzahl von zwei- und dreidimensionalen Modellstufen im Kunsthaus zu sehen. Unerwähnt bleibt jedoch in der Ausstellung, dass sich Weiwei nach und nach von diesem Projekt zurückzog und auch der Einweihung fernblieb. Es wurde ihm während des Baues immer klarer, dass seine Hoffnung, China werde mit den Olympischen Spielen einen Öffnungsprozess erleben, nicht erfüllt werden würde, äußerte er 2008 in einem Spiegel-Interview.

Im Gegensatz dazu konnte er – damals noch nicht der intellektuelle Staatsfeind Nummer eins – bei seiner allerersten gemeinsamen Arbeit mit Herzog & de Meuron, die ebenfalls ausgestellt ist, zumindest im Kleinen eine Genugtuung erreichen. Die Gesamtumsetzung des Modells für den Masterplan der Jindong New Development Area, einem Wohnbezirk für 300.000 Menschen in der Dreimillionenstadt, ist zwar bis heute zurückgestellt, jedoch konnte ein kleiner Teilbereich realisiert werden. Der Architectural Park entlang des Flusses Wujiang wurde in den Jahren 2004-2006 realisiert. 17 Objekte internationaler Architekten befüllen ihn. Der Park ist die offizielle Erinnerungsstätte an seinen mittlerweile verstorbenen, aber zumindest rehabilitierten Vater.

Wie sehr aber auch ein wacher Geist wie Weiwei Gefahr läuft, für hypertrophe Ideen, die unter Chinas Milliardären wuchern, instrumentalisiert zu werden, zeigt „Ordos 100“. Das Modell füllt in Bregenz ein komplettes Stockwerk des Kunsthauses. Tief in der mongolischen Steppe hat der Unternehmer Cai Jiang Grund erworben und träumt von einer Retortenstadt, einem Monte Verita im chinesischen Hinterland. „Ordos 100“, von Weiwei kuratiert, versammelt 100 internationale Architekten – von Herzog & de Meuron handverlesen ausgesucht –, die mit jeweils einem Bauwerk ihren Beitrag zur zukünftigen Stadt liefern sollen. Auffällig dabei ist, dass kein einheimischer Architekt vertreten ist. „Je süßer das Parfum, desto hässlicher die Fliegen, die um die Flasche kreisen“, könnte dazu ein weiteres chinesisches Sprichwort zitiert werden. Das Areal wirkt wie ein Sandkasten, auf dem sich vor Kreativität überbordende Kinder austoben. Die wirklich essenziellen Antworten für einen modernen Städtebau an so einem Ort fehlen jedoch vollends. Fragen zu Infrastruktur, Verkehrsanbindung, zum Umgang mit klimatischen Schwankungen eines Wüstenklimas bleiben ebenso offen wie die, welche Parameter hier geschaffen werden müssten, damit sich eine funktionierende Gemeinschaft unter den zukünftig hier Ansässigen ausbilden kann. Alles sicher Gründe, warum das Projekt bis heute nicht realisiert wurde.

Den authentischen Weiwei entdeckt der Besucher eigentlich erst am Ende der Ausstellung wieder – bezeichnenderweise in einer Installation, die nichts mehr mit Architektur zu tun hat. Seine Moon Chests sind hoch aufragende, hintereinander aufgestellte Holzkästen, in deren Mitte Kreise ausgeschnitten wurden. Je nach Perspektive simuliert der Durchblick für den Betrachter unterschiedliche Mondphasen. Himmelskörper hatten für die Chinesen, die auch als Begründer der Astronomie gelten, immer einen hohen Stellenwert. Schon im 4. Jahrhundert vor Christus findet sich bei einem der Urväter der Astronomie, Shih-shen: „Wenn die eigenen Interessen der hohen Beamten das öffentliche Interesse beherrschen, gerät der Mond auf Abwege.“

LITERATURHINWEIS:
Ai Weiwei „Macht euch keine Illusionen über mich.“ Der verbotene Blog

Herausgegeben von Lee Ambrozy
ins Deutsche übertragen von Wolfram Ströle, Norbert Juraschitz, Stephan Gebauer, Oliver Grasmück und Hans Freundl

Verlag Galiani Berlin
Mit zahlreichen Fotos des Künstlers
Klappenbroschur
Euro 20,60

ISBN 978-3-86971-049-5

Verfasser/in:
Emil Gruber, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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