09/11/2009
09/11/2009

StudentInnendemonstration in Graz, am 05.11.2009. Foto: Gerlinde Knaus

StudentInnendemonstration in Graz, am 05.11.2009. Foto: Gerlinde Knaus

Auf dem Vorplatz der Karl-Franzens-Universität liegt inmitten von Grabkerzen ein Gerippe. Es handelt sich um das österreichische Bil-dungssystem.
Das Skelett beginnt zum Staunen aller Umstehenden mit einer Knochentrommelstimme zu sprechen: „Es ist halb so schlimm. Sagen die Politiker. Ich atme noch. Sagen sie. Und alle sind sich einig, dass ich nur ein paar Reformen brauche. Dann wird es mir bald wieder besser gehen und ich werde wieder Fleisch auf die Rippen bekommen. Nur kosten darf die Reformkost nicht zuviel, am besten nichts. Meine Kritiker orten vor allem ein Platzproblem. Die Hörsäle sind überfüllt, in dieser klaustrophobischen Enge kann sich kein Gedanke wirklich entfalten. Demnach müssten die Universitäten ausgebaut werden. Ich brauche keine PädagogInnen, ich brauche ArchitektInnen, die in der Lage sind, Luftschlösser zu bauen, denn für Sichtbetonbauten fehlt das Geld. In Luftschlössern werden sich die kühnsten Gedankenflüge unternehmen lassen. Hochschule wird in Zukunft bedeuten, dass der Unterricht hoch in der Luft stattfindet.
Als über mich selbst reflektierendes System kann ich nur betonen, dass der Zugang zu mir frei ist, auch für Lernwillige aus dem Ausland, sofern es seit dem EU-Beitritt unseres Landes noch ein Ausland gibt.
Wer daran etwas auszusetzen hat, kann ruhig auswandern. Fragt sich nur wohin. Mein Hoheitsgebiet wird immer noch österreichisch sein, aber mit den Überfluggenehmigungen dürfen wir nicht knausern, wenn wir nicht einschichtig werden wollen.
Die Bildung, die ich vermitteln lasse, ist in jedem Fall hochwertig, auch wenn die Vermittlung nicht immer auf offene Ohren stößt, was vielleicht doch auch an kleinen Übertragungsfehlern liegen könnte, das will ich nicht bestreiten. Den hohen Wert der Bildung kann man an den Gehältern meiner Lehrenden unschwer erkennen. In den Luftakademien wird es Höhenzulagen geben.
Forschung und Lehre sind frei, so wahr ich hier liege. Ich garantiere mit meinen Knochen dafür. Allen, die von meiner Auszehrung sprechen und womöglich ihre schwindenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt meinen, kann ich nur entgegnen, dass ein voller Bauch nicht gern studiert. Das ist eine wissenschaftliche Erkenntnis. Dass Hungernde an Konzentrationsmängeln leiden, steht auf einem anderen Blatt.
Die Proteste gegen mich richten sich in Wahrheit gegen die Beschränkungen von Raum und Zeit. Der Unterricht wird sich ganz entschieden anderen Dimensionen zuwenden müssen. In anderen Welten sehen wir uns wieder!“
Dem Skelett fällt die Kinnlade herunter. Der Rest seines Vortrags besteht aus Schweigen. Die ersten Kerzen erlöschen.

Verfasser/in:
Günter Eichberger, Glosse
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