02/10/2009
02/10/2009

Dolores Zinny, Juan Maidagan: Curtain Call for Graz, 2009; Rathaus

steirischer herbst 24/09 – 18/10/2009

Nils Norman: Öffentliche Arbeitsplatz Spielplatz Skulptur für Graz, 2009; Volksgarten

Kooperative für Darstellungspolitik: Pavillon, 2009; Platz der Freiwilligen Schützen

Ayse Erkmen: Gemütliche Ecken, 2009; diverse Orte im Stadtraum

Nairy Baghramian: Aufbauhelfer, 2009, Foyer und Haltestelle Kunsthaus

Lara Almarcegui: Verborgenes Terrain mit aufgelassenen Schrebergärten, 2009; (Körösistraße 20), Doppelseite Kleine Zeitung

David Maljkovic: Ein Monument für Graz, 2009, Karmeliterplatz

Andreas Siekmann: Trickle Down. Der öffentliche Raum im Zeitalter seiner Privatisierung, 2007/09, Landhaushof. Fotos: Maria Ziegelböck

Angefragt, für den steirischen herbst eine Ausstellung zu machen, sagt Kuratorin Sabine Breitwieser, sei ihr „spontaner Impuls“ gewesen, „dorthin zurückzukehren, wo ich wesentliche Wurzeln des Festivals sehe: eben in den öffentlichen Raum“. Nicht nur stattfinden sollte die nun realisierte Ausstellung im öffentlichen Raum; über die positionierten Arbeiten soll der öffentliche Raum auch zum Thema gemacht werden und damit die Nutzung durch unterschiedliche Interessenten. Die Rolle der Kunst könnte demnach eine kritische Einmischung sein in den kommerziell und politisch „völlig besetzt[en]“ physischen Stadtraum, der sich ohnehin schon als „möbliert bis in die letzten Nischen“ zeigt. „Utopie und Monument I“ nennt Breitwieser ihr Projekt im heurigen herbst, dem ein zweiter Teil im kommenden Jahr folgen soll.

Die vielleicht deutlichste künstlerische Stellungnahme in diesem Sinn stammt von dem argentinischen Künstlerpaar Dolores Zinny und Juan Maidigan, die einen riesigen Vorhang vor dem Portikus des Grazer Rathauses angebracht haben. Mit einem lautmalerischen Wortspiel betitelt, „Curtain Call for Graz“, thematisieren die Künstler repräsentative Demokratie am spezifischen Ort, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft unter dem Aspekt von „Bühne, Backstage und Zuschauerraum“.

Dem im Titel angesprochenen Monumentalen entgegnet die Kuratorin indem sie betont, dass diese Ausstellung „wirklich als temporäres Projekt“ angelegt ist. Wie auch der vormalige herbst-Intendant Horst Gerhard Haberl in einem Gespräch anmerkte (in: herbst. Theorie zur Praxis, Magazin zum steirischen herbst 09), dass etliche aus vorherigen Festivals verbliebene Installationen inzwischen ihrer Genese verlustig gegangen und zur „Dekoration“ verkommen seien. – Haberl in Ehren, die Frage müsste jedenfalls gegenüber dem jeweiligen Objekt diskutiert werden, entsprechend einer Tendenz, die Theoretiker und Kuratoren wie Paolo Bianchi, Brigitte Franzen oder Anselm Wagner in die weiterhin geführte und weiterführende Diskussion einbringen; nachzulesen im demnächst erscheinenden Jahrbuch des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark.

Der britische Künstler Nils Norman beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit alternativen Ökonomien, Ökologie, Mobilität, politischer Partizipation und mit Fragen um historische und künftige Formen von Gesellschaften. Immer wieder entwickelt er so Konzepte, die über den künstlerischen Entwurf hinaus einer alternativen Nutzung zugeführt werden können. Für Utopie und Monument errichtete er eine Art Pavillon mit dem pragmatischen Titel „Öffentliche [sic.] Arbeitsplatz Spielplatz Skulptur für Graz“ im Volksgarten. Seine „Skulptur“ aus wiederverwertbaren Materialien kann demnach Arbeitsplatz, Spielgerät, Versammlungsraum sein oder schlicht als Unterstand genützt werden. Und schon ist der Bestand allein für die Dauer des steirischen herbst fraglich, nachdem Anton Lederer vom nahe gelegenen Kunstverein sich für die längerfristige Verwendung – als Besprechungs- und Arbeitsraum – stark macht.

Als „Pavillon“ bezeichnet auch die Kooperative für Darstellungspolitik (Berlin) ihre erhöhte Holzträgerkonstruktion über einem Baugerüst auf dem Platz der Freiwilligen Schützen (Bad zur Sonne). Darin zu lesen eine auf Schalungsbrettern affichierte historische Abhandlung zu „Kunst und öffentlicher Raum“.

Über die Innenstadt verteilt sind zehn monochrome Aluminiumverbundplatten, die Ayse Erkmen (TR, D) „Gemütliche Ecken“ nennt. In verschiedenen Formen und Farben sind die „Ecken“ angelehnt und angekettet an funktionelles Inventar – etwa Straßenlaternen – im Innenstadtbereich. Gerade solche Eingriffe in ohnehin als überladen bezeichnete Bereiche können wohl nur als praktizierte Antithese zu „Drop Sculptures“ gelesen werden.
Wie vom Himmel gefallen, in Wirklichkeit aber per Kran in den Landhaushof platziert, wirkt Andreas Siekmanns (D) Ensemble um seine kugelförmige Plastik – durchwegs aus Plastik – „Trickle Down. Der öffentliche Raum im Zeitalter seiner Privatisierung“ (2007/2009). Der Titel spielt schon mit Walter Benjamins „Kunstwerk“ und seiner technischen Reproduktion. 13 dem touristischen Stadtmarketing entnommene Maskottchen sind als Kugel miteinander verschweißt und gepresst und rekurrieren im Titel auch auf Bernard de Mandevilles 1724 publizierte Überlegung vom „Prosperität stiftenden Eigennutz“ bzw. vom „Durchsickern“ des Wohlstandes höherer Gesellschaftsschichten auf die unteren. Heute dagegen heißt ein bekannter Slogan „geht’s der Wirtschaft gut …“. Auf Piktogrammen wird dazu eine Abhandlung geführt über die zunehmende Privatisierung vormals städtischer Zuständigkeitsbereiche.

Wie eine Plastik von Eduardo Chillida – und wir sind wieder bei den Drop Sculptures – mutet Nairy Baghramians (D) „Aufbauhelfer“ an, im Foyer des Kunsthauses und im zweiten Teil an der Straßenbahnhaltestelle davor. Zu ihrer Plastik für die „Skulptur Projekte“, Münster 2007, merkte Baghramian an, es sei ihr wichtig, dass sich BetrachterInnen selbst entscheiden können, ob sie sich mit einem Kunstwerk auseinandersetzen wollen. No na könnte man patzig behaupten, aber die Praxis zeigt, dass wie mit den „Gemütlichen Ecken“, und anlässlich einer Ausstellung während eines Festivals, gerade noch Zeit sein dürfte, nicht orts- oder gesellschaftsspezifische Plastik im öffentlichen Raum platzieren zu können.
Scheinbar verweist eine Bautafel auf dem Karmeliterplatz auf eine zu errichtende „Akademie für bildende Kunst in Graz“. Der Kroate David Maljkovic verwendet die Fotografie eines von der jugoslawischen Regierung 1970 in Auftrag gegebenen Monuments für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Partisanen in Petrova Gora wie die Vor-Ansicht eines Bauprojekts – nun in Graz, am Ort des nicht ausgeführten Trigon-Museums.
Der öffentliche Raum erstreckt sich jedenfalls auch bis in die Medien. Auf einer Doppelseite der Kleinen Zeitung waren Fotografien unter dem Titel „Verborgenes Terrain mit aufgelassenen Schrebergärten“ von Lara Almarcegui (E) publiziert. In ihren Arbeiten befasst sich Almarcegui mit verlassenen oder unzugänglichen Arealen von Städten, die in den Interessensbereich entweder von „öffentlicher“ Stadtplanung reichen und/oder jenen privater Unternehmer, die man im Allgemeinen, und oft euphemistisch, als Investoren bezeichnet. In Graz zeigen die Fotografien Schrebergärten nah der Körösistraße, deren Pachtverträge ausgelaufen sind.

Für den Ausstellungsführer zu Utopie und Monument hat Michael Zinganel fiktive Dialoge um markante Orte und Gebäude verfasst. „Die Stadt spricht! Ein fiktiver Dialog“ handelt in mehreren Kapiteln von Schlossberg, Dom und Priesterseminar, Eisernem Tor oder Kastner & Öhler; hier etwa kommt einmal mehr Walter Benjamin und sein „Arkadenwerk“ ins Spiel.

Kunst im öffentlichen Raum findet aber noch in zwei weiteren Ausstellungen Stadt (sic.) und Land: Nämlich mit [OUT], Interventionen junger serbischer KünstlerInnen in Graz, und TEXTBILD MMIX, einer Textreise durch die Steiermark; zwei Projekte des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark. Dazu demnächst mehr auf GAT.

SABINE BREITWIESER ist Kuratorin in Wien und sie ist Secretary und Treasurer von CIMAM, dem internationalen Komitee von ICOM (International Council of Museums) für Museen und Sammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst. Von 1988 bis Ende 2007 war sie Direktorin der Generali Foundation, für die sie Museumskonzept und Programm entwickelte sowie eine Sammlung von mehr als 2000 Arbeiten von etwa 200 internationalen KünstlerInnen aufgebaut hat.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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