Zurzeit dreht sich in der Architektur vieles um Materialien, ihre Kreisläufe und um Energie – also um die Physik des Bauens. Das ist Ausdruck von Sühne und Erleichterung zugleich, denn es bearbeitet die Schuld der Architektur, angeblich größter CO2-Sünder der Welt zu sein und vertagt die Aufgabe, sich der ebenso wichtigen Fragestellung zuzuwenden: Was ist sie, was will sie und wo soll sie hin? Was heißt Bauen und Wohnen jenseits dessen, dass dabei Rohstoffe und Energie verbraucht werden? Aber Security, Comfort and Sustainability, so meint Koolhaas, haben eben heute den gesellschaftspolitischen Anspruch auf Egalitè, Fraternitè und Libertè ersetzt. Mittlerweile ist es praktischerweise zunehmend sicher und komfortabel, nachhaltig zu sein.
Wenig gekümmert haben Energie und Material die digitalen Euphoriker der Architektur-Szene. Wenngleich der Wirklichkeitsgewinn ihrer Projekte bescheiden und die ökologische Bilanz ihrer Arbeitsmittel zunehmend verheerend ist, herrscht in diesen Kreisen ungebrochener Optimismus. Denn eine Technologie, die so schöne Formen generieren kann, wird auf absehbare Zeit auch die selbst verursachten Probleme lösen. Bis es soweit ist vertrösten ihre Verfechter uns mit kitschigen Bildern, die einem ununterbrochen zurufen, wie wenig Gedanken oder Ideen, aber wie viele Iterationen und wie viel Rechenarbeit in ihnen stecken. Ein endloses Echo lullt die Zunft in gepromptete Schaumlandschaften und Ornamentstädte. Diese werden mit Fabelwesen, Robotern und historischen Staffagen bevölkert, bis gesellschaftliche Fragen so weit in die Ferne rücken, dass die Wirklichkeit, wenn überhaupt, nur als Störfaktor wahrgenommen wird. Kitsch, so hat Adorno gesagt, ist dümmlich tröstend.
"Im virtuellen Raum können visionäre Entwürfe und fiktive Szenarien in Architektur und Stadtplanung ohne die Einschränkungen der realen Welt erträumt werden", verkündete konsequenterweise das Wiener MAK 2023 und versprach "Eine Reise in die Neue Virtualität"[1]. Wer aber beispielsweise die mit enormem Maschinen-Aufwand hergestellte „Hundehütte“ in der Ausstellung gesehen hat, entwickelte Mitgefühl mit den zugekauften Roboterhunden, die hilflos um sie herumwackelten. Denn selbst sie wussten mit dem sehr konventionell collagierten Raum aus Kunststoff nichts anzufangen.[2] Es war, als würde man eine CNC-gesteuerte 5-Achsen-Fräse programmieren, um eine Cola-Dose zu öffnen. Das sieht spektakulär aus, beleidigt das Potenzial der Maschine, zerstört im ungünstigsten Fall die Dose und lässt einen durstig zurück.
Generell scheint zu gelten, dass sich Rechenleistung und der Denkaufwand dafür, wie sie eingesetzt wird, indirekt proportional zueinander verhalten. Überwältigung durch Datenmengen, Rechenmaschinen und Leuchtdioden, die Bedeutung vorgaukeln, dazu zahllose Kabel oder sinnentleerte Sätze und immer wieder flirrende Bilder. Je kunstvoller die Pixel den Betrachter*innen um die Ohren fliegen, so die Annahme, umso demütiger wird deren Haltung. Viele der damit konfrontierten Menschen wundern sich, sehen viel, erkennen wenig und gestehen sich verschämt ein, der Genialität der Maschine nicht gewachsen zu sein. Darin spiegelt sich die Tragik einer Architektur, die sich eines Werkzeugkastens bedient, dessen Möglichkeiten sie nicht wirklich nutzt.
Denn aus Bequemlichkeit (Comfort) wird nicht versucht, die Grundprinzipien der digitalen Technologien zu abstrahieren und auf die Architektur zu übertragen. Stattdessen bedient man sich nur so weit in dem fachfremden Gebiet, als es Mittel zur Formgenerierung bereitstellt. Das Ganze wird dann mit halbfertigen Gedanken unterfüttert, umfassend verbreitet und ausgestellt.
Der Mangel an tieferem Nachdenken zeugt von intellektueller Ohnmacht, und führt teilweise – wie in der Ausgabe "Artificial Intelligence in Architecture" der Zeitschrift AD – zu unfreiwillig komischen Bildern modernistischer Appartementstapel, von denen mit großer Rechenleistung generierte Grasbüschel hängen. Keinerlei sozialräumliche Innovation in Sicht, keine Gedanken zum Verhältnis Mensch, Gesellschaft und Raum: Security. Alles bleibt, wie es war und verharrt im Bann eines unkritischen Fortschrittsphantasmas.
Das Gleiche gilt für die Robotik, mit unvergessenen frühen Höchstleistungen wie Greg Lynns gemorphten Spielzeugenten, für die ihm der goldene Löwe bei der Architekturbiennale 2008 verliehen wurde.[3] Mit solchen Auszeichnungen bringt die Architekturwelt ihre Ehrfurcht zum Ausdruck vor dem, was sie nicht versteht, weil es so angelegt ist, dass man es nicht verstehen kann, obwohl es verständlich wird, wenn man genauer hinsieht. Denn es geht bei den meisten dieser Projekte nicht um die Maschine und deren Leistung, sondern um die Maschinisten (meist sind es Männer) und die Singularisierung der eigenen Arbeit.
Leider unterbleibt fast immer eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Art, wie Wissen im Zuge der Digitalisierung organisiert und verarbeitet wird: nicht durch Denken, sondern durch Rechnen. Auch wenn dies auf eine Art geschieht, die dem Denken immer ähnlicher zu werden scheint. Wollen Architekt*innen Maschinen – und auch die leistungsfähigsten Computer sind nach wie vor Rechenmaschinen – verwenden, um sozial wirksame Architektur herzustellen, so müssen sie sich selbst erst einmal fragen, was Architektur überhaupt ist und wie sie unser Zusammenleben bedingt. Erst nachdem sie halbwegs tragfähige Thesen zu dieser Fragestellung entwickelt haben, können Versuche gelingen, diese in die Sprache der Maschinen zu übersetzen. Dazu muss ein Verständnis dafür entwickelt werden, welche Möglichkeiten die Maschinen bieten und wie diese allgemein am erfolgreichsten zur Bearbeitung architektonischer, sprich sozialräumlicher Problemstellungen eingesetzt werden können.
Sehen sie sich stattdessen als Künstler*innen, dann geht es nur um die Irritation vorhandener Wahrnehmungsmuster bei den Betrachter*innen, also um die Produktion von Anschauungsmaterial, also um Gestaltung, die sich selbst und dadurch ihre Autorenschaft als etwas Besonderes kommuniziert. Ohne darauf abzuzielen bringt der Theoretiker Mario Carpo diese neue Ausgangslage auf den Punkt, wenn er schreibt: "Every dataset is a canon; every canon is a dataset. Give me your dataset and I shall tell you who you are."[4] Wohin gehst du, Architektur?
_____________Quellen
[2] Die Begründung für diese Behausung klang nichts desto trotz wortmächtig und im postmodernen Jargon: "Employing pixel projection and CNC milling, the diffusion-model image is transformed into a physical structure. The resulting design becomes a visual representation of the complex and often unseen processes that underpin modern technology and artistic expression. The sign is the concept or idea being communicated, the signifier is the physical form in which it is communicated, and the signal is the actual transmission or communication of the signifier."(S. 74, Sandra Manninger, Signs, Signals and Signifiers – The Doghouse and the Semiotics of AI, in: AD 03, Vol 94, 2024, Artificial Intelligence in Architecture)
[3] Der Trick, die Enten als "Recycled Toy Furniture" zu vermarkten, zeigt zumindestens die vorausschauende Intelligenz ihres Erfinders, das Digitale mit den Stoffkreisläufen zu versöhnen.
[4] S.18, Mario Carpo, Every Dataset is a Canon, in: AD 03, Vol 94, 2024, Artificial Intelligence in Architecture.