18/09/2009
18/09/2009

Die Zeit, das weiß jeder Rosenkavalier, dessen Strauß schon welkt, wenn er ihn überreicht, ist ein „sonderbar Ding“. Sie stellt nicht nur mit den Menschen einiges an, lässt sie langsam aus der Form geraten, so dass sie sich selber im Spiegel nicht mehr erkennen, auch mit den Dingen meint es die Zeit nicht gut – sonderbar, wo sie doch selbst ein Ding ist. Die Zeit geht gegen sich selber vor, indem sie ihre Zeugnisse verfallen lässt. Der Zahn der Zeit nagt und nagt, braucht keinen Zahnarzt, die Ewigkeit, das ist ein Verfallsprojekt. Auch Metaphern verblassen. Werden wir lieber konkret.

Es ist schon ein Kreuz mit Bauten, stehen sie erst einmal lange genug, werden sie baufällig. Und dann stellt sich die Frage: Soll man sanieren, renovieren oder doch lieber abreißen? Der Architekt als Künstler baut für die Ewigkeit, jeder Bau ein Denkmal seiner visionären Kraft. Aber weiß die Ewigkeit seine Anstrengung zu schätzen? Oder wenden sich schon die Zeitgenossen beizeiten ab? Die Ewigkeit lässt sich für uns nicht erleben, nicht einmal denken. Was also tun mit ihr? Da sie doch offensichtlich nichts mit uns gemeinsam hat…
Die siebziger Jahre mit ihrem Aufbruchsgeist treten nun in die museale Phase ein. Und eine Reihe von Bauten, in denen sich dieser Geist manifestiert hat, scheint schwer angeschlagen, präsentiert sich als Ruinen der jüngeren Vergangenheit, morsche Zeugen ihrer verwichenen Modernität. Von der Avantgarde zur alten Garde.

Und mancher Bau, zuletzt das Forschungszentrum Leoben von Domenig/Huth, wurde so gründlich saniert, dass nicht von einer „Heilung“, sondern einem erfolgreichen Anschlag gesprochen werden muss. Bleich steht der Architekt vor seinem Werk und sieht sich darum gebracht.
Ist eigentlich alles erhaltenswert? Auch das Misslungene, von dem sich immerhin lernen lässt, wie man es besser nicht macht? Gibt es so etwas wie eine Halbwertszeit von Gebäuden? Sterben die Häuser mit ihren Bauherren? Und soll man sie in Frieden ruhen lassen? Oder sich im Sinne der Erneuerung alle paar Jahrzehnte ein Erdbeben wün-schen?
Jede Materialermüdung ein Hinweis auf die Endlichkeit. Die Baufälligkeit als Spiegel der Hinfälligkeit. Die Zeit schlägt Wunden. Dage-gen ist kein Kraut gewachsen.

Verfasser/in:
Günter Eichberger, Glosse
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