08/08/2011
08/08/2011

Das Haus des Gehens.

Ein himmelwärts gerichteter Spaziergang eröffnet neue Perspektiven.

Das Haus des Gehens steht noch bis 27. August in der Schmiedgasse und wandert dann weiter nach Andritz und auf die Hauptbrücke. (Foto: teresa rothwangl / camera-obscura.at)

Diesen Sommer begegnet man an wechselnden Orten in der Grazer Innenstadt einer weiß getünchten Gartenhütte mit Sonnenschirm und türkiser Sprechblase. Was auf den ersten Blick wie eine Kreuzung aus Badeteichidyll und Kleingartensiedlung wirken mag, entpuppt sich bei näherem Hinschauen als Teil einer Kampagne zur Förderung der sanften Mobilität. Das "Haus des Gehens" ist die Heimstätte des Projekts "Die Stadt liegt dir zu Füßen!", das, initiiert von der Abteilung für Verkehrsplanung der Stadt Graz und konzipiert von Maria Reiner (www.managerie.at), noch bis Ende September läuft.

Schon seit mehreren Jahren wirbt die Stadt mit dem Programm "Graz steigt um" für Alternativen zum motorisierten Individualverkehr, also die öffentlichen Verkehrsmittel, das Fahrrad und, dieses Jahr verstärkt, für die Verwendung der eigenen Beine. Besonders beim Thema Radfahren kann die Stadt mit der Wiedereroberung des Titels "Radhauptstadt", vergeben vom VCÖ und einem vergleichsweise hohen Anteil von Radfahrern am Gesamtverkehr Erfolge verbuchen. Obwohl Städte wie Amsterdam zeigen, dass noch viel mehr möglich ist. Noch sanfter als mit dem Fahrrad bewegt man sich nur zu Fuß. Folgerichtig rückt die diesjährige Kampagne das Gehen in all seinen Facetten in den Mittelpunkt. Das reicht von praktischen Annehmlichkeiten wie der Unabhängigkeit von Parkplätzen und Fahrplänen über die gesundheitlichen Vorteile bis hin zu Aspekten des Gehens als Tätigkeit an sich, wie dem vielfältigen und intensiven Erfahren – eigentlich Ergehen – der Stadt. Das Gehen mit allen Sinnen steht im Mittelpunkt zahlreicher Angebote wie den himmelwärts gerichteten Spaziergängen oder den Tonspuren.

Der Bewusstseinskampagne geht es nicht um ein Ausspielen der Verkehrsmittel gegeneinander, denn zu Fuß geht jedeR. Jeder Mensch nimmt unterschiedliche Rollen ein: AutofahrerIn, BenutzerIn öffentlicher Verkehrsmittel, RadfahrerIn, FußgängerIn. Und viele wechseln mit dem Umstieg jedes Mal auch die stereotypen Feindbilder. Anstatt zu missionieren und gegen jede einzelne Autofahrt zu wettern, geht es den Initiatorinnen des Projektes vielmehr um die Thematisierung von Konfliktpotenzialen. Denn, egal um welche Verkehrsteilnehmer es sich handelt: keine Regeln oder Gesetze können die gegenseitige Rücksichtnahme über direkten Blickkontakt ersetzen. In Expertendiskussionen im "Haus des Gehens" wird über Themen wie Shared Space informiert und diskutiert. Zuletzt stellten Elli Scambor und Cosima Pilz ihre Intersectional Map von Graz vor, in der sie die unterschiedliche Bewegung im öffentlichen Raum und die Nutzung der Stadt durch verschiedene Bevölkerungsgruppen, je nach Geschlecht, Ethnie, Milieu und Alter, darstellen. Die soziologische Studie aus dem Jahr 2009 erforscht die Bedeutung verschiedener Plätze für diese Gruppen und strukturiert die Stadt nach der Diversität ihrer Lebensumstände.

Vor allem das Gehen als Verkehrsmittel interessierte den Ö1-Moderator Rainer Rosenberg und die Zuhörer seiner Sendung "Von Tag zu Tag", in der Maria Reiner und ihre Kollegin Cornelia Haberl vor Kurzem zu Gast waren. Vielleicht sei die Effizienz der größte Vorteil des Gehens: kein Warten auf die Straßenbahn, keine Angst vor Fahrraddiebstahl, kein Ärger über die regelmäßigen Preiserhöhungen beim öffentlichen Verkehr. Kürzere, weil direktere Wege könnten im innerstädtischen Bereich ein starkes Argument für das Gehen gegenüber anderen Verkehrsmitteln sein, mit denen man Umwege in Kauf nehmen muss. Dazu müssten jedoch noch mehr Innenhöfe und alte, seit Jahrhunderten bestehende Verbindungsgässchen, derer es in Graz einige gibt, wieder geöffnet werden. Die Energie, um die unbestrittenen bürokratischen Hürden zu überspringen, wäre gut investiert, sind doch diese engen Durchgänge auch ein beliebtes Merkmal mediterraner Städte, mit denen nicht nur Tourismusmanager Graz so gerne vergleichen. Ideen wie diese überlässt die Kampagne allerdings anderen, versteht sie sich selbst ja als reine Bewusstseinskampagne und nicht als Planungsinstitution. Vorschläge zur Attraktivierung des Gehens sind im Rahmen der Spazierpapierbörse und im direkten Gespräch aber immer willkommen.

Verfasser/in:
Martin Grabner, Bericht
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