05/10/2009
05/10/2009

Wenn in der Politik vermittelt werden soll, dass man sich einer Aufgabe ganz besonders engagiert und motiviert annimmt, so wird eine Offensive gestartet. Das Land Steiermark zeigt sich gegenwärtig in mehreren Bereichen offensiv, dem Wortsinn gemäß also angriffslustig: Von der Informationsoffensive zur EU über die Schulskikursoffensive und die Winterbauoffensive bis hin zur Kindergarten-Bauoffensive ist da zu lesen. Die Offensive als politische Haltung scheint modern zu sein.

Die Kindergarten-Bauoffensive ist eine Aktion, die durch die Einführung des Gratiskindergartens notwendig wurde. Im Jahr 2008/2009, dem ersten Jahr des Gratiskindergartens, erreichte die Zahl der Kindergartenkinder in der Steiermark den Rekordwert von 27.510, das entspricht 3,3% mehr als im Vorjahr, wobei nur die Kinder erfasst sind, welche auch tatsächlich einen Platz bekommen haben. Bei den Dreijährigen ist der Wert im Vergleich zum Vorjahr um über 7% gestiegen. Was die zur Verfügung stehenden Kindergartenplätze betrifft, sind derzeit steiermarkweit in nur vier Bezirken mehr Plätze vorhanden als es drei- bis sechsjährige Kinder gibt. Ab Herbst 2010 wird sich die Situation zusätzlich verschärfen, da dann zumindest das letzte Kindergartenjahr verpflichtend wird.
Derzeit gibt es landesweit 690 Kindergärten, davon werden 504 öffentlich geführt, 81 von der Kirche und 105 von anderen privaten Betreibern, deren größter WIKI ist.

Um dem Engpass an Betreuungsplätzen entgegenzuwirken, hat das Land Steiermark heuer die besagte Kindergarten-Bauoffensive gestartet. Mittels drastischer Anhebung der Förderungen für den Bau von Kindergärten und Kinderkrippen soll auf schnellstem Weg erreicht werden, dass bis zum Herbst 2010 die nötigen Betreuungsplätze vorhanden sind. Wurden bisher nur ca. 30% der Baukosten gefördert, so steuert das Land derzeit bis zu 50% bei, unter der Voraussetzung, dass die Inbetriebnahme im Herbst 2010 erfolgt. Letztere Bedingung scheint logisch – man will schließlich unbedingt vermeiden, dass auf der einen Seite der Kindergartenbesuch verpflichtend, auf der anderen Seite jedoch die Umsetzung mangels ausreichender Plätze gar nicht möglich ist.

Der Plan scheint prinzipiell zu funktionieren. So hat die damals zuständige Landesrätin Dr. Bettina Vollath im Frühjahr 2009 stolz verkündet, dass die Gemeinden Mellach und Albersdorf-Prebuch neue Kinderkrippen bauen möchten, während in Strass und Judenburg bestehende Kinderkrippen erweitert werden sollen.

Das Problem an der Bauoffensive liegt in der kurz bemessenen Frist. Öffentliche Bauträger schaffen es kaum, in der zur Verfügung stehenden Zeitspanne die im Vorlauf nötigen Prozesse (Standortsuche, Erwirken der Gemeinderatsbeschlüsse etc.) unterzubringen. Architekturwettbewerbe, welche vorbereitet, ausgelobt und juriert werden müssen, würden weitere Verzögerungen bewirken und werden daher vermieden.

Die Stadt Graz, die sich verpflichtet, für Projekte mit Kosten von über 700.000 Euro Wettbewerbe auszuloben, hat es nun geschafft, geladene Wettbewerbe für zwei Kinderkrippen innerhalb der Frist umzusetzen (Schönbrunngasse und Prochaskagasse). Der Referatsleiter des Hochbaureferates DI Heinz Reiter beklagt ebenso wie Bmst. Ing. Rainer Plösch von der GBG (Grazer Bau- und Grünlandsicherungs GmbH) die kurze Zeitspanne und hofft, dass die Frist für die Förderung verlängert wird. Reiter bestätigt, dass die Stadt Graz derzeit noch ca. 26 mögliche Standorte für Kinderkrippen und Kindergärten analysiere.

WIKI als privater Betreiber setzt laut Mag. Barbara Gartner-Hofbauer auf die Zusammenarbeit mit Architekten. Derzeit werden etwa 5 bis 10 Liegenschaften in Graz und Graz-Umgebung hinsichtlich der Machbarkeit geprüft. WIKI stimmt die Projekte üblicherweise mit Gemeinden und Land ab, was zusätzliche Zeit in Anspruch nimmt. Die Planung läuft daher parallel zur Entscheidungsfindung, weshalb Wettbewerbe nur selten durchgeführt werden. Man wolle den Wettbewerbsgewinnern nicht zumuten, dass die Realisierung der Projekte in hohem Masse unsicher sei. Ergebnis dieser Überlegungen ist ein von WIKI forciertes, anpassbares Modulsystem zur Erweiterung von Kindergärten und Kinderkrippen – eine pragmatische Lösung, die kaum auf die direkte Umgebung und regionale Gegebenheiten reagieren kann.

Leider scheint es, dass die Kindergarten-Bauoffensive in ihrer gegenwärtigen Form eher den im Eiltempo geplanten und umgesetzten Zubauten zugute kommt, als qualitativ hochwertigen Architekturprojekten. Eine in vielerlei Hinsicht vergebene Chance, wenn man bedenkt, dass mit 18 Millionen Euro viel Geld ausgeschüttet werden soll, mit dem energetisch nachhaltige Vorzeigeprojekte, baukulturell beispielhafte Projekte im ländlichen Raum und perfekte Bauten hinsichtlich ihrer Kindergerechtigkeit realisiert werden könnten.

Wenn man die lange Lebensdauer von Architektur in die Überlegungen einbezieht, dann ist es absolut unverständlich, wie eine Bauoffensive gänzlich ohne Berücksichtigung der realistisch nötigen Zeiten für Standortanalyse, Wettbewerb, Planung und Ausführung befristet werden kann. Vielmehr scheint es, als würde bautechnisches „Hudeln“ von Seiten des Gesetzgebers gefördert und gefordert.

Gerade Schulen und Kindergärten, die im Idealfall das Architekturverständnis der Kinder positiv prägen können, müssen verantwortungsvoll geplant werden. Wünschenswert wäre es, wenn auch private Investoren und Betreiber von Kindergärten, welche ihre Bauten durch öffentliche Gelder gefördert bekommen, unabhängig von Schwellenwerten zur Auslobung von Wettbewerben angehalten werden könnten.

Verfasser/in:
Martin Brischnik, Kommentar
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