14/10/2009
14/10/2009

Der Falter Steiermark erscheint jeweils mittwochs.

Andreas Ruby hat gerade die besten Neubauten der Steiermark gekürt. Ein Gespräch über das Alte und das Neue in der Architektur.

Mit dem frisch gedruckten Jahrbuch ist dem Haus der Architektur (HdA) Beachtliches geglückt. Die elf Neubauten, die Andreas Ruby nebst dem diesjährigen Architekturpreisträger der Steiermark für das HdA ausgewählt hat, sind dort derart überraschend, zugleich zugänglich präsentiert, dass das Buch auch Laien viel Freude bereiten sollte. Außerdem hat der Berliner Architekturtheoretiker und Autor auch gleich eine kritische Lektüre steirischer Architekturproduktion der Nullerjahre mitgeliefert. Mit zum Teil erstaunlichen Thesen und, ja, Ermahnungen: Die „Grazer Schule der Architektur“, die seit den späten Sechzigerjahren Praxis wie Lehre im Lande geprägt hat, möge sich, schreibt Ruby da beispielsweise, nicht länger „auf den Lorbeeren ihrer Geschichte“ ausruhen. Mehr Wirklichkeitsbezug, weniger Avantgarde-Träume fordert Ruby. Frech!

Falter: Sie haben sich gerade mehr als achtzig Neubauten angesehen. Was fällt auf?

Andreas Ruby: In der Steiermark fällt auf, dass die Architektur ein wenig vor sich hinwurstelt, um das salopp zu sagen. Man spürt wenig Interesse, städtebaulich oder raumplanerisch zu denken. Dabei wäre das genau das Wichtigste in der Steiermark. Und man spürt, dass die jüngere Generation der Architekten unheimlich stark unter dem Eindruck und der Last der großen Vergangenheit der „Grazer Schule“ steht.

Falter: Wie äußert sich das?

Ruby: Das Hauptinteresse der Architekten scheint hier darin zu bestehen, möglichst skulptural wiedererkennbare und charismatische Gebäude zu entwerfen. Das können die meisten auch ganz gut. Aber sobald es über das individuelle Gebäude hinausgeht, gibt es eine gewisse Hilflosigkeit. In Bezug auf den Landschaftsraum etwa, mit dem sich die Steiermark sonst zu Recht sehr brüstet. Der raumplanerische Umgang mit dieser Landschaft ist so gut wie gar nicht entwickelt. Die Gemeinden vergeben Baugenehmigungen in Wild-West-Manier und verlieren darüber aus dem Auge, dass die Erfahrungseinheit der Landschaft irgendwann aufhören wird zu existieren, wenn man das unbegrenzt tut.

Warum interessieren sich steirische Architekten so wenig fürs Land?

Ruby: Das ist eine Frage des Selbstverständnisses. Es existiert hier die Auffassung, der Architekt habe sich darum zu kümmern, ausdrucksstarke, originelle Gebäude zu entwerfen, die einen Widerpart darstellen zu dem vorwiegend traditionell bestimmten Charakter der Stadt. In dieser Dialektik zwischen Alt und Neu bewegt sich ein großer Teil des architektonischen Sendungsbewusstseins.

Falter: Im Jahrbuch erklären Sie die radikale Position der „Grazer Schule“ mit einem Aufbegehren gegen die Elterngeneration.

Ruby: Die These ist vielleicht etwas kühn. Ich glaube aber schon, dass die „Grazer Schule“ ein Beispiel dafür ist, wie die 68er-Generation versucht hat, sich vom biografischen Erbe der Elterngeneration zu emanzipieren. Dass man sich emanzipieren will, ist völlig nachvollziehbar. Aber kann man es wirklich in einem künstlerischen Medium tun? Ich finde, dass am Ende niemandem geholfen ist, wenn dabei ein Schwarz-Weiß-Denken herauskommt. Nehmen wir das Satteldach. Eine derartige Typologie ist im Bewusstsein der Architekten der „Grazer Schule“ auf immer und ewig mit der Blut- und-Boden-Ideologie der Nazis kontaminiert. Das ist das Problem: Wenn man populärere Formen der Kultur kategorisch ablehnt, nimmt man sich auch die Chance, sie zu beeinflussen. Diese Haltung finde ich an der „Grazer Schule“ tendenziell unproduktiv. Die viele Energie, die sie hat, bläst sie in die falsche Richtung und kommt dadurch nicht wirklich von der Stelle.

Falter: Nach welchen Kriterien haben Sie dann den Preis vergeben?

Ruby: Mir ist aufgefallen, dass bisher immer Projekte gewonnen haben, die ohnehin schon prominent waren. Ich habe deswegen ganz bewusst kein großes Gebäude ausgewählt, auch wenn es da sehr gute Alternativen gegeben hätte: die Messe-Halle A von Riegler Riewe (1) ist ohne Zweifel ein beeindruckendes, tolles Gebäude. Dasselbe gilt für das Rondo von Markus Pernthaler (2). Aber ich wollte eine leichte Verrückung des Blickes vorschlagen und anregen, dass man sich einmal auf neue Weise mit der Landschaft und mit dem Bestand auseinandersetzt. Es gibt zurzeit ein klares Muster: Immer, wenn sich Architektur mit historischer Substanz auseinandersetzt, betont sie sehr deutlich, wie zeitgenössisch sie ist. Deswegen ist sie im Ergebnis immer ganz klar vom Bestand abgesetzt. Diese Art von Dialektik finde ich relativ vorhersehbar und wenig spannend.

Falter: In Graz gilt das Kunsthaus als – „freundliches“ – „Alien“, im Jahrbuch sprechen aber auch andere Architekten von ihren Bauten als Fremdkörper. Woher kommt das?

Ruby: Ich finde es ein wenig tragisch, dass man die Entfremdung der eigenen Arbeit vom lokalen Kontext im Vorhinein akzeptiert: „Wir werden nie dazugehören und wir wollen das eigentlich auch nicht.“ Wenn ein Büro wie Hope of Glory (im Jahrbuch mit dem Projekt „Vier regionale Marktplätze“, Anm.) (3) so etwas sagt, dann muss etwas tief drin in der architektonischen Erziehung sitzen, das sagt: „Mit diesem Kram auf dem Land darf man sich nicht groß abtun, sondern muss denen zeigen, wo der Hammer hängt und wie man eigentlich zu bauen hat.“ Das finde ich tendenziell überheblich. Spannend ist es, wenn man im Alten Dinge entdeckt, die eigentlich neu und aufregend sind, wenn man gewissermaßen den Staub der Zeit abklopft und merkt, wie man das heute nutzen kann.

Falter: Das hat Sie offenbar auch am Siegerprojekt überzeugt, oder?

Ruby: Obwohl das „Haus YUG“ (4) von x architekten auf den ersten Blick ein relativ unspektakuläres Haus ist. Aber es hat es geschafft, den Typus eines alten Stallgebäudes mit neuen Augen zu sehen, darin Qualitäten zu entdecken, die man auch heute gerne bauen würde, mit einer ganz zeitgenössischen Typologie aber nicht verwirklichen könnte. Mir war es wichtig aufzuzeigen, wie sich diese Dialektik zwischen Alt und Neu überwinden lässt, eine Vorstellung des Weiterbauens von existierenden Zusammenhängen in zeitgenössischen Zusammenhängen zu vermitteln. Dabei geht es auch nicht um eine plumpe Anbiederung an die Vergangenheit im Sinne der Postmoderne, sondern um eine Transformation. Die Architekten haben mit relativ geringem Aufwand eine sehr große Wirkung erzeugt. Das ist eine andere Qualität, die ich an Architektur schätze. Im Gegensatz zu Architektur, die extrem viel Aufwand macht, aber wenig Wirkung zeigt – wie das Grazer Kunsthaus ...
Falter: Auf den Fotos im Jahrbuch sind viele Menschen abgebildet. Das ist in der Architekturfotografie nicht üblich. Warum eigentlich?

Ruby: Wenn sich der Architekt als Künstler begreift, wenn man das Gebäude als Kunstwerk versteht, bleibt für die gesellschaftliche Aneignung dieses Kunstwerks nur noch die Rolle des Betrachters übrig. In der Architektur gibt es aber auch Benutzer, und zwischen Betrachter und Benutzer besteht ein riesiger Unterschied. Ich habe daher versucht, Projekte zu finden, die mit Nutzung auf spielerische und lustvolle Weise arbeiten. Bei „In-Side-Out“ in Pischelsdorf (5) zum Beispiel haben sich die Arquitectos ganz genau überlegt, wie die Auftraggeber dieses Haus nutzen wollen. Sie haben es dann sehr ambivalent organisiert, sodass man dort einerseits das Wochenende verbringen, andererseits aber auch wirklich dort wohnen könnte. Am stärksten beschäftigt sich vielleicht der Entwurf für das Palais Thinnfeld (6) vom Institut für angewandte Urbanistik (ifau) und Jesko Fezer mit Fragen der Nutzung. Er ist eine Art Anti-These zum skulpturalen Architekturverständnis und hat bei der Frage angesetzt, was die drei Institutionen im Haus wollen, und dafür eine Form von „space sharing“ vorgeschlagen.

Falter: Sie fordern von Architekten auch „zivilen Ungehorsam“ . Was meinen Sie damit?

Ruby: Es geht darum, dass sich Architekten nicht immer nur als Auftragnehmer verstehen sollten, die am Telefon sitzen und warten, bis jemand anruft und sagt: „Ich möchte hier einen Supermarkt hinhaben.“ Architekten sollten die Stadt auch beobachten und registrieren, wenn Entwicklungen in die falsche Richtung laufen. Dafür ist das Grünanger-Projekt von Hubert Rieß (7) ein gutes Beispiel. Er hat sich damals gegen den Abriss der Holzhäuser am Grünanger ausgesprochen, in denen Menschen am Rande der Gesellschaft ihren individuellen Lebensstil pflegen konnten, und stattdessen ein Projekt zur Ergänzung dieser Siedlung initiiert. Potenziale aufzuzeigen, halte ich für eine wichtige Tätigkeit für Architekten.

Zum Buch
Verblüffende Fotos von Livia Corona, lebendige Planzeichnungen von Elena Schütz und Julian Schubert sowie vielstimmige Texte zu den zwölf Projekten. Die Fotografien von Corona sind bis 1.11. im HdA ausgestellt

Ilka & Andreas Ruby (Hg.): Von Menschen und Häusern. Architektur aus der Steiermark. HdA Graz, 335 S., € 34,90

Zur Person
Andreas Ruby lebt als Architekturkritiker und Autor in Berlin und betreibt dort gemeinsam mit Ilka Ruby seit 2008 den Verlag Ruby Press. Der Architekturpreis des Landes Steiermark, bislang von einer Jury vergeben, wurde heuer erstmals – eben von Ruby – kuratiert und mit dem Jahrbuch für Architektur zusammengeführt.

Verfasser/in:
Thomas Wolkinger, Interview; erschienen im Falter Stmk. 42/09, 14.10.2009
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+