04/10/2011
04/10/2011

Ausstellung "Plurale Wirklichkeiten - variable multisensorische Räume"; bis 30.10, im HDA Graz.

Foto: wm

Licht, Raum und Schall als kognitive Parameter in „Plurale Welten“

Man kennt vielleicht das Gefühl, mit der Erwartung in einem Aufzug zu stehen, der werde jetzt gleich nach oben fahren. Darauf fährt der Lift aber nach unten und das bekannte – deshalb erwartete – Körpergefühl erweist sich als ein völlig anderes. Die Folge ist der kurzzeitige Verlust eines Raumgefühls, das jetzt erst neu adjustiert werden muss.
Ein vergleichbares Phänomen zwischen Konditionierung, Erinnerung, Wahrnehmung und daraus folgende Metakognition behandeln Werner Jauk und Franziska Hederer mit ihrer Installation „Plurale Wirklichkeiten – variable multisensorische Räume“ im Grazer Haus der Architektur. Der Titel erinnert dabei nicht allein an das Herbst-Motiv „Zweite Welten“, deutlicher vielmehr an die philosophische Haltung des radikalen Konstruktivismus, nach dem nicht „die“ Wirklichkeit aus Wahrnehmung und Abgleich der Erfahrung (Äquilibration) des Individuums entstehen kann, sondern „viele“ und grundsätzlich verschiedene aus den jeweils begrenzt rezipierten Ausschnitten der Umgebungen von Individuen.

Zu ihrer Installation setzen Jauk und Hederer voraus, dass im allgemeinen mit der Wahrnehmung tiefer Töne ein „Unten“ und hoher Töne ein „Oben“ verbunden wird. Im abgedunkelten Raum dagegen sind Schallquellen so eingerichtet, dass, im sich wiederholenden Durchlauf von Bild und Klang, die hohen Töne von unten kommen und die tiefen von oben. Parallel bewegen sich dazu die Projektionen zweier horizontaler Lichtstreifen an den Stirnseiten des Raumes von oben nach unten und umgekehrt. Resultieren soll daraus nun eine Irritation des Empfindens des Raumklanges beziehungsweise des Klangraumes, weil, wie Jauk und Hederer es beschreiben, Bild und Klang Hinweißreize sind, „die Wirklichkeiten aus dem Erfahrungswissen erzeugen“. – Um aber beim radikalen Konstruktivismus zu bleiben: Nach meinem Selbstversuch erscheint das Konzept dieser Anordnung durchaus plausibel, wenngleich die Erfahrung der örtlichen Zuordnung tiefer und hoher Töne ausblieb; da müsste vielleicht präziser justiert werden.

Was diese Installation allerdings leistet ist die Veranschaulichung des Lernprinzips, wie es der Schweizer Psychologe und Erkenntnistheoretiker Jean Piaget dargestellt hat und das kurz gefasst etwa so funktioniert: Lernen kann man auch als kognitiven Wandel bezeichnen, der eintritt, wenn ein Schema ein erwartetes Ergebnis nicht herbeiführt und in der Folge die so hervorgerufene Perturbation (Störung) zu einer Akkomodation (Abgleich) führt, die eine neues Erfahrungs- und Wissensgleichgewicht herstellt (vgl. Ernst von Glasersfeld: Radikaler Konstruktivismus. Frankfurt a. M. 1997, S. 121.).

Am 6. Oktober, ab 19.00 Uhr diskutieren im HDA Graz zum Thema „Plurale Wirklichkeiten und ihr Transfer zwischen Kunst, Wissenschaft und Architektur“ die Medienkünstlerin Anke Eckhardt (Berlin), der Philosoph Erwin Fiala (Graz), die Architekten Irmgard Frank, Andreas Lichtblau (Wien) und Urs Hirschberg (Graz) und der Musikwissenschafter und Medienkünstler Werner Jauk (Graz); es moderiert Franziska Hederer.

„Plurale Wirklichkeiten – variable multisensorische Räume“ im HDA Graz, Mariahilferstraße 2, 8020 Graz, bis zum 30. Oktober 2011. Eine Kooperation von Steirischer Herbst und HDA mit dem Institut für Musikwissenschaft der KF-Universität Graz, pop / musik + medien / kunst & Institut für Raumgestaltung, Fakultät Architektur, TU Graz

WEITERE HDA-VERANSTALTUNGEN:

_ VORTRAG
Schindler Lecture mit Helen & Hard
WANN: Mittwoch, 05.10.2011 | 19:00
WO: HDA im Palais Thinnfeld, Mariahilferstraße 2, 8020 Graz

In Kooperation mit Schindler!

_ HÄUSER SCHAUN
Friedhofcenter am Steinfeldfriedhof, Graz / Hofrichter-Ritter Architekten
WANN: 08.10.2011, 11.00 Uhr
WO: Treffpunkt HDA im Palais Thinnfeld, Mariahilferstraße 2, 8020 Graz

Anmeldungen für Häuser schaun erbeten unter office@hda-graz.at.
Für organisatorische Fragen steht Frau Dr. Tanja Gurke gerne zur Verfügung: +43(0)650/777 84 89

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Rezension
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