Sie waren Besucher und Teilnehmer der ersten interventa Hallstatt, welchen Eindruck hatten Sie von der Veranstaltung?
Ich habe sie ein wenig so erlebt, als wäre ein UFO in Hallstatt gelandet, leider haben einheimische Besucher gefehlt. Schade auch, dass nur Neubauten vorgestellt wurden. Wir müssen doch endlich vom ausschließlichen Neubau wegkommen.
Vorgestellt wurden zumindest Neubauprojekte aus ökologischen, natürlichen Baustoffen. Und mit Xu Tiantian und Yasmeen Lari waren auch Architektinnen, die sich sozial engagieren, zu Gast.
Wenn Yasmeen Lari etwa nach einem Damaskuserlebnis nun den Ärmsten Ihr Wissen zur Verfügung stellt, ist das natürlich sehr positiv. Lari hat erfolgreich gebaut, alles geschafft, was eine Frau, eine Architektin in Pakistan erreichen kann und gönnt sich jetzt quasi den Luxus, mit den Armen ihr Wissen zu teilen, bemerkenswert.
Umzudenken mag nicht leicht sein. Es braucht einen neuen Zugang weg von gängigen Baumaterialien wie Beton, auf den man konstruktiv nie ganz wird verzichten können.
Beton ist ein Hochleistungsbaustoff. Auch wenn man ihn im Tiefbau weiterhin optimal einsetzen und wegen seiner statischen Vorteile nutzen wird, können wir aber darauf verzichten, viergeschoßige Wohnbauten komplett in Beton zu errichten, um sie dann mit 20 Zentimeter Polystyrol zu dämmen, nur um Mauerstärke zu sparen und noch mehr Quadratmeter rausquetschen zu können. Beton ist in manchen Bereichen gut substituierbar.
Lernt man dazu etwas im Studium?
Soweit ich das von meiner Tätigkeit an der TU Wien sagen kann, lechzen die Studierenden förmlich nach Wissen über das handwerkliche Bauen. Die Lehre ist jedoch vom technischen Ansatz her auf das industrialisierte Bauen ausgerichtet, einen simplen Bestandsbau zu reparieren lernt man nicht. Auch findet man kaum mehr junge Handwerker, die sanieren können. Das Wissen bröckelt im Handwerk und der Planung weg. Das ist ein Riesendefizit.
Wie war denn Ihr Zugang zum Architekturstudium und zu Ihrem späteren Interesse für traditionelle Bautechniken?
Ich habe die Fachschule für Holzbildhauerei in Hallstatt absolviert, eine Ausbildung in der ich mit vielen Materialien, Holz, Stein und Metall experimentiert habe. Diese breit gefächerte Ausbildung hat mich den handwerklichen Umgang mit Material gelehrt. Ich habe auch alle möglichen Jobs am Bau gemacht und schließlich auf dem zweiten Bildungsweg nach der Studienberechtigungsprüfung an der TU Wien Architektur inskribiert. Dort habe ich mir das fehlende theoretische Wissen angeeignet und unermüdlich das Fachwissen der Lehrenden angezapft. Im zweiten Studienabschnitt war mein Schwerpunkt die Denkmalpflege, das hat mich geprägt. Das eigene Haus in Hallstatt mit historischem Kern, an dem ich mit meiner Frau 30 Jahre lang weitergebaut habe und bei dem wir den Wohnraum in den Felsen vorgetrieben haben, hat mich dann ein altes Haus Stück für Stück verstehen lassen.
Ist Ihr Interesse für historische Baustoffe und Bauweisen diesem Erlebnis zu verdanken?
Nicht ganz. Meine Eltern haben es mir schon in meiner Kindheit vorgelebt. Ich bin in Braunau im Innviertel aufgewachsen und als Häuslbauerkind in den 1960er und 1970er Jahren groß geworden, in einer schönen, wenn auch armen Zeit – wie jene, die die Wirtschaftsjournalistin und Autorin Ulrike Hermann in ihrem interventa-Vortrag angesprochen und quasi als Ideal eines Degrowth-Prozesses für die Zukunft propagiert hat. Materialrecycling, ist mir sehr vertraut. Was man heute „Urban Mining“ nennt, hat mein Vater schon damals betrieben. Als Bewehrung der Fensterstürze nahm er etwa die Läufe von nach dem Krieg massenhaft vorhandenen Achtundneunziger-Karabinern.
Haben Sie beim Hausbau mitgeholfen?
Ja, und ich habe das als Kind natürlich gehasst, aber viel gelernt, auch über die Zweitverwertung von Gegenständen. Noch heute zögere ich, Holz, das möglicherweise noch anderwertig brauchbar sein könnte, zu Brennholz zu zerschneiden.
Die Sechzigerjahre brachten eine gewisse Aufbruchstimmung, man begnügte sich mit wenig im Glauben, dass alles besser würde. Heute müssen wir komplett umdenken.
Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Ideale, die die Jungen propagieren, im Sinne Max Webers zu verstehen sind, also im Sinne eines Unterschieds zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Wir sehen sehr viel plakative Gesinnung, um diese dann aber in realitas zu leben, fehlt ihnen die Praxis.
Wie sehen Sie den Einwand von Frau Hermann – die wir schon erwähnt haben – dass grüne Technologien das Problem nicht werden lösen können?
Ich muss ihr recht geben. Der fundamentale Denkfehler ist, zu glauben, man könne das Problem mit neuen Technologien lösen. Ein Schlüsselwerk hierzu ist für mich „The Coal Question“ des englischen Wirtschaftswissenschaftlers William Stanley Jevons von 1865. Er führt Folgendes an: In den 1780er Jahren hatte man die neue Dampfmaschine von James Watt eingeführt, die einen dreimal besseren Wirkungsgrad hatte als das Vorgängermodell von Thomas Newcomen. Da für dieselbe Leistung nur ein Drittel der Kohle gebraucht wurde, war man überzeugt, sie würde den Kohleverbrauch senken. Er stieg jedoch exorbitant, weil durch die effizientere Technologie der Einsatz billiger wurde. Ein Gewinn in der Ressourceneffizienz wird nie eingesetzt, um den Verbrauch zu reduzieren, sondern nur um den Gewinn zu maximieren. Das wird uns mit allen neuen Technologien wieder passieren.
Die Hoffnung schwindet, dass wir angesichts der beunruhigenden Klimaziele und Kipppunkte, denen wir uns dramatisch rasch nähern, endlich umfassend handeln.
Ich bin da bei Lord Keynes, der sagte: „Ich bin skeptisch gegenüber Prognosen, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“. Wenn man die Komplexität von Modellbildungen bauphysikalischer Modellierungen betrachtet, und sei es nur jene eines Kastenfensters, erkennt man, dass nicht seriös vorauszusagen ist, ob sich unser Klima auch nur um ein Zehntelgrad ändern wird. Und je weiter der betrachtete Zeitpunkt in der Zukunft liegt, desto größer wird die Bandbreite. Aber davon unabhängig, ob die Klimaprognose nun zutrifft oder nicht, sollte man grundsätzlich schon aus ethischer Sicht, sorgsam mit Ressourcen umgehen. Ich tue es nicht aus einer Angst heraus, sondern weil es mich glücklicher macht und es mir dabei besser geht.
Auch Ihr Projekt „Simple Smart Buildings“, das im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl Salzkammergut entstand, nimmt letztlich Bezug auf unseren Umgang mit Ressourcen. Würden Sie das Projekt erläutern?
Hierbei geht es um diese Reboundeffekte, um die Technologiegläubigkeit, die immer mehr Energie frisst. Eben darauf gründet auch meine Skepsis gegenüber Smart Buildings oder Smart Cities, nämlich gegenüber dem Ansatz, man könnte ein Gebäude, eine Stadt mit viel Elektronik intelligent und damit effizienter machen. Die Alltagserfahrung lehrt, dass elektronische Geräte einen unglaublich kurzen Lebenszyklus haben. Die elektronische, haustechnische Ausstattung von Gebäuden hat den kürzesten Lebenszyklus und muss unglaublich schnell erneuert werden, verursacht hohe Kosten und frisst Ressourcen. Aus diesem Denken heraus haben mein Kollege Günther Kain und ich einen Gegenentwurf zu Smart Building entwickelt. Simple Smart bedeutet dabei, dass das Kluge im Einfachen steckt.
Meinen Sie traditionelle Baustoffe und Bautechniken könnten die Lösung sein?
Wenn man Baustoffe mit dem Wissen über ihr Langzeitverhalten optimal einsetzt, also auch den Gebäudestandort und das lokale Klima berücksichtigt und diese Ansätze miteinander verknüpft, ist es naheliegend, auch Materialien zu verwenden, die selbstregulierend wirken. Im Sinne der sogenannten Sensor-Aktor-Systeme, für die man keine Elektronik braucht.
Was wäre so ein klassisches Sensor-Aktor-System?
Etwa Holzschindeln, die sich mit Feuchtigkeitsveränderungen bewegen. Wenn man die Eigenschaften von Holz kennt, baut man es so ein, dass diese Bewegungen den Lebenszyklus unterstützen. Der Sensor wäre, wenn Holz feucht wird, der Aktor ist die Formveränderung aufgrund der Holzphysiologie. Natürliche Dichtstoffe wie Torfmoose reagieren ähnlich. Sie quellen durch Feuchtigkeit auf und dichten besser. Wenn sie trocknen, ist eine Durchlüftung möglich.
Wie kann man dieses Wissen gewinnen?
Aus unserem baukulturellen Erbe. Denn jene Bauten, die bis heute überdauert haben, sind letztlich das Produkt eines evolutionären Prozesses. Nur Gebäude, die an einem bestimmten Standort optimal funktioniert haben, sind im Regelfall auch jene, die erhalten bleiben. Wir versuchen aus diesen Beispielen zu lernen und zu ergründen, warum Dinge bis heute funktionieren.
Sie erwähnten die Unsicherheit der Prognosen am Beispiel der Dampfmaschine, wie konnte diese Fehleinschätzung passieren und hat das auch Relevanz für Baustoffe?
In Bezug auf die Dampfmaschine war es eine mangelnde Technikfolgenabschätzung. Prognosen, sind vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen, schwierig zu stellen. Eine Folgenabschätzung in ihrer vollen Tragweite und Komplexität ist nicht möglich, weil sie unsere menschlichen Fähigkeiten, auch jene der künstlichen Intelligenz und von Modellbildungen übersteigt. Bei der historischen Bausubstanz liegt uns aber die Technikfolgenabschätzung als eine Langzeitfallstudie unter realen Bedingungen vor. Darum meinen wir, dass hiermit eine Basis gelegt ist, um Baustoffe, handwerkliche Techniken und Baustoffkombinationen abschätzen zu können, vor allem auch, welche den geringsten Ressourcenverbrauch und den längsten Lebenszyklus haben und Räume schaffen, die den Menschen wohltun.
Wer zeigt Interesse für Ihre Erkenntnisse?
Wir machen da noch ein Minderheitenprogramm, aber erst kürzlich ist die Salzburger Regionalentwicklung auf uns zu gekommen. In der Coronazeit habe ich gelernt, Podcasts zu machen und erreiche damit mittlerweile auch viele Zuhörer. Ich sehe etwa die Wiener Siedlerbewegung nach dem Ersten Weltkrieg als Leuchtturmprojekt, mit ihrer Idee des einfachen Bauens, der kleinen Häuser, des Selbermachens, des Gemeinschaftlichen und der Informationsweitergabe. In diesem Gedanken der Selbsthilfe, der Freude am Selbermachen steckt großes Potenzial. Auch meinen Podcast sehe ich als Open Access, in dem ich mein Wissen zur Verfügung stelle.
Auf der interventa haben Sie Postkarten aufgelegt, die einen großen Metallengel am Dach des Wiener Burgtheaters abbilden. Was hat es damit auf sich?
Dieser Engel steht für mich prototypisch genau für diese Simple Smart Buildings-Idee. Am höchsten Dachpunkt des Burgtheaters bekrönt er die Auslassöffnung des historischen Belüftungssystems. Der Engel funktioniert wie eine Windfahne, die die Austrittsöffnung des Fortluftkanals selbstregulierend mit der Windenergie nun seit über 130 Jahren ins Lee dreht und damit verhindert, dass der Wind die Luft zurückdrückt. Der Blasengel stellt wieder so ein Sensor-Aktor-System dar.
Funktioniert das Belüftungssystem noch?
Das einst ausgeklügelte Luftverteilungssystem im Burgtheater ist leider größtenteils außer Betrieb gesetzt. Unter jedem Sitz gab es einen Schlitz für die Luftzufuhr, jede Loge hatte Zu- und Fortluft. Nur mehr rudimentär ist noch das sogenannte Einlaufwerk im Rosengarten des Volksgartens erhalten. Von dort verläuft bis in das dritte Kellergeschoß unter der Straße ein etwa 100 Meter langer, 6 Meter hoher Tunnel. Wenn man dieses Objekt mit einem heutigen Rückkühlaggregat oder Wärmetauscher vergleicht, muss man anerkennen, der Engel ist nicht nur schöner, sondern auch beständiger, denn er funktioniert heute noch. Die Fortluft strömt immer noch dort hinaus und wird Sensor-Aktor-mäßig durch den Wind in die ideale Position gebracht.
Gibt es ein solches Belüftungssystem auch in anderen Ringstraßenbauten?
Dessen größte Blütezeit war das späte 19. Jahrhundert, als ein Wiener Mediziner namens Carl Böhm die Bedeutung von Lufthygiene erkannte. Er hat diese Luftbrunnen bis zur Jahrhundertwende in vielen Ringstraßenbauten eingebaut, zuletzt im Corps de Logis der Hofburg für die kaiserlichen Wohnräume zu Ehren des Kaisers.
Woran liegt es, dass man die Vorteile des Systems nicht mehr nützt?
Durch die beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts hat es einen unglaublichen Bruch in der Kontinuität der Weitergabe des Erfahrungswissens gegeben. Unsere Wissenserzeugung hat sich exponentiell dynamisiert und das Erfahrungswissen der Alten ist scheinbar obsolet geworden, es wurde nicht mehr wertgeschätzt und ist verloren gegangen.
Fühlt man sich als Nutzer:in denn mit einer kontrollierten, kontinuierlichen Raumtemperatur von bis zu 20 Grad oder mehr wirklich wohler?
Ich behaupte, auch wenn ich kein Mediziner bin, das bereitet den Menschen Stress. Betrachten wir die Wohnumgebung des Raumes, in dem ich gerade sitze: Die Wand hinter mir aus dem 16. Jahrhundert ist 90 Zentimeter dick, vis-à-vis schaue ich auf eine Felswand. Ich habe Lehmputze, viel Holz und einen Kachelofen, und schaffe damit ein völlig ausgeglichenes, unaufgeregtes simple smartes Klima.
Ihr Haus schließt direkt an eine Felswand an?
Ja, es ist direkt daran angebaut. Ursprünglich war der Raum nur 2 Meter tief, um Raum zu gewinnen, habe ich noch in den Felsen gearbeitet. Aber die Wand ist trocken und dicht. Bei Starkregenereignissen fließt das Wasser über eigene Rinnen ab. Im Vorhaus ist die Felswand auch sichtbar, bleibt aber von der Konstruktion unberührt und sie macht das Haus sehr authentisch. Außerdem funktioniert sie als saisonaler Temperaturspeicher. Sie kühlt im Sommer, die Sommertemperatur wird gespeichert und der Felsen im Vorhaus erreicht bis weit in den Winter hinein 18 Grad und fällt nie unter 16 Grad. 20 Grad zu erreichen ist dann heiztechnisch kein Problem.
Nützen Sie als einziger baulich diese natürliche Gegebenheit?
Es gibt noch andere Häuser, wobei die meisten Felswände im 20. Jahrhundert verkleidet wurden. Aus ähnlichen Überlegungen heraus, wie kleine Fenster oder Lehmbauten als Zeichen für Armut oder Bruchsteinmauerwerk noch vor wenigen Jahren als minderwertig galt. Langsam gibt es aber eine neue Wertschätzung einst verpönter Baustoffe.
Berücksichtigt auch die Denkmalpflege diese Werte?
Ja, unbedingt. In der Geschichte des baukulturellen Erbes der Menschheit war über Jahrtausende die Wiederverwendung die Haupthandlungsweise, also der Regelfall. Das Denkmalamt hat erkannt, dass das Narrativ „Denkmalschutz ist Klimaschutz“ natürlich dem Denkmalschutz eine völlig andere Akzeptanz bringt.
Welche Bedeutung hat für Sie bezüglich Baustoffe die Idee der kurzen Wege.
Auch das kann man von der historischen Bausubstanz lernen, das Beste entstand meist in Zeiten materieller Not, wo man mit dem Vorhandenen arbeiten musste. Beschränkung zwingt zur Kreativität. Degrowth ist gut für die Denkmalpflege, wirtschaftlich schlechte Zeiten sind der beste Denkmalpfleger.