23/02/2011
23/02/2011

Der Falter erscheint wöchentlich, jeweils mittwochs.

Umweltanwältin Ute Pöllinger. Foto: J. J. Kucek

Die steirische Umweltanwältin Ute Pöllinger zerpflückt die Estag-Argumente für das Kraftwerk Puntigam.

Ute Pöllinger betreibt ihr Amt aus Leidenschaft: Die Biologin und Juristin, 40, seit sechs Jahren weisungsfreie Umweltanwältin des Landes Steiermark, ist immer top informiert, bildet sich klare Meinungen – und legt zahlreich Berufungen ein. Freilich kann sie oft nicht viel mehr bewirken, „als dass es länger dauert“, wie sie sagt. Große Erfolge gibt es aber auch: Mit Abstand am meisten bewirkt habe sie bei der Gasverdichterstation in Weitendorf: „Da hätte die gesamte Abwärme völlig ungenützt in die Atmosphäre entweichen sollen.“ Im Zuge der UVP wurde erreicht, dass die Abwärme nun als Strom genützt wird - „damit werden heute 25.000 Haushalte versorgt“. Zum Vergleich: Mit der Staustufe Puntigam will die Estag 20.000 Haushalte bedienen. Dieses Kraftwerk will die Umweltanwältin nun verhindern – und hält das auch für „absolut realistisch“.

Falter: Frau Umweltanwältin, die Estag argumentiert: Wenn die Steiermark in Sachen Energie “unabhängig sein“ will, sei das Kraftwerk Puntigam „zwingend notwendig“. Bringt uns dieses Kraftwerk der Energieautonomie so viel näher?

Ute Pöllinger: Tatsache ist, dass eine Energieautarkie der Steiermark durch Wasserkraft nicht erreichbar ist, da die Wasserführung in den Flüssen über das Jahr stark schwankt und im Winter nur sehr wenig Energie erzeugt werden kann.

Die Staustufe Puntigam soll laut Estag 74 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr produzieren. Kritiker sagen, das sei zu hoch angesetzt.

Ute Pöllinger: Und das ist absolut richtig. Ich habe für das Kraftwerk Gratkorn im UVP-Verfahren eine Plausibilitätsprüfung beauftragt. Der Gutachter ist zum Schluss gekommen, dass auch dort die Projektwerber Verbund und Estag die angegebene Leistung nicht zusammenbringen werden.

Estag-Chef Kois sagt, Puntigam werde die „grüne Tankstelle der Stadt“, damit werde „E-Mobiiltät erst möglich“.

Pöllinger: Das halte ich für Schwachsinn. Mit einem Wasserkraftwerk kann man nicht gleichmäßig etwas betreiben. Es ist völlig absurd, so zu argumentieren. In den Monaten, wo sehr viel Strom verbraucht wird, kann Wasserkraft am wenigsten beitragen. Es heißt ja immer, die fossilen Kraftwerke könnten durch Wasserkraftwerke massiv zurückgefahren werden, das ist aber ein Blödsinn.

Was bedeutet das alles für die UVP?

Pöllinger: Es ist zu erwarten, dass die Annahmen auch für Puntigam zu optimistisch sind. Auch die angeblichen CO2-Einsparungen entsprechen damit in keiner Weise der Realität. Realistisch ist eine Einsparung zwischen null und maximal einem Drittel dessen, was die Estag angibt. Auf der anderen Seite kommt es definitiv zu Verschlechterungen für bestimmte Fischarten. Wenn die energiewirtschaftliche Wertigkeit dazu noch so gering ist, tut man sich als Behörde schon schwer, das Ganze positiv zu beurteilen.

Mit welchem Ausgang der UVP rechnen Sie?

Pöllinger: Ich rechne so wie bei den anderen Projekten damit, dass es eine Bewilligung geben wird, gegen die ich sicher berufen werde. Ich hoffe, dass es mir bei diesem Projekt wirklich gelingt, den Umweltsenat zu überzeugen, dass das nicht mehr umweltverträglich ist. Die Umweltgesetze berücksichtigen ja auch Kumulationseffekte. Dadurch, dass das frei fließende Gewässer immer weniger wird und das Kraftwerk Puntigam einen hoch sensiblen Bereich in ein stehendes Gewässer umwandelt, wird das Problem immer drängender. Es bleibt ja überhaupt nichts mehr über, wo sich der Fluss und die Fische regenerieren könnten. Irgendwann muss sich das in einer negativen Beurteilung niederschlagen.

Knapp ein Drittel des importierten Stroms stammt aus Kernkraft. Ist Wasserkraft nicht immer noch besser als Atomstrom?

Pöllinger: Wir haben in Österreich schon längerfristig in den Monaten mit niedriger Wasserkrafterzeugung Nettostromimporte, von Mai bis August dagegen Nettostromexporte. An diesem Muster wird sich auch durch das KW Puntigam nichts Wesentliches ändern.

Was kann Österreich dann überhaupt tun, um den Konsum von Atomstrom zu verringern?

Pöllinger: Strom sparen. Das ist das Einzige, was wirklich wesentlich etwas bringt. Die Potenziale der regenerativen Energien sind gut, aber trotzdem enden wollend. Strom sparen muss sexy werden, und dafür muss ganz klar die Politik sorgen.

Laut Estag wird durch das Kraftwerk auch die Wasserqualität der Mur verbessert, da derzeit bei starkem Regen ungeklärte Abwässer in die Mur gelangen. Die Stadt müsse ohnehin in den nächsten Jahren einen Mischkanal bauen – den nun eben die Estag mitfinanziert.

Pöllinger: Es gibt keine Notwendigkeit technischer oder wasserrechtlicher Art, dass dieser Kanal jetzt kommen muss. Die Mur hat im Stadtgebiet von Graz im stofflichen Bereich überhaupt keine Probleme. Es gibt keine Dringlichkeit.

Kraftwerksgegner reden von einem vier Meter hohen Damm, auf den die Anrainer dann hinaufschauen müssten. Ist das bloß ein Horrorszenario?

Pöllinger: Nein. Um stauen zu können, muss man riesige Dämme aufschütten. Wer jetzt einen freien Blick auf die Mur hat, schaut dann auf sehr hohe Dammbauwerke. Diese sind zwar nicht überall gleich hoch, sondern verlaufend, aber sicher bis zu vier Meter hoch.

Die Estag sagt, das Hochwasserrisiko sinkt, die Gegner prophezeien Überschwemmungen...

Pöllinger: Da halte ich beides für nicht wahrscheinlich.

Was ist mit den „herrlichen Freizeitmöglichkeiten“ an der Mur?

Pöllinger: Diese Bilder sind ja immer sehr nett: Man sieht gefällige Büchtchen mit Bänkchen und spielenden Kindern. Wenn man aber derzeit von der Autobahnbrücke Richtung Gössendorf runterschaut, sieht man, wie es nach der Schlägerung ausschaut. Dieser Bereich soll auch zu einem Naherholungsparadies mit Buchten und Kröten werden. Was mich daran so wahnsinnig ärgert: Es dauert mindestens 15 Jahre, bis dort wieder ein Grünraum ist. Und da reden wir noch gar nicht darüber, dass natürlich Naturraum verloren geht.

Laut Estag gibt es nachher aber sogar mehr Grünraum.

Pöllinger: Aber es ist völlig unrealistisch, dass die Tiere 15 Jahre in Steinfugen warten, bis es wieder einen Platz für sie gibt. Bis wieder eine gewisse Biodiversität gegeben ist, dauert das ewig. Man muss sich ja wieder den Kumulationseffekt anschauen: Erst macht man in Gössendorf alles kaputt – die Tiere marschieren nach Norden. Dann passiert dort das Gleiche. Und jetzt in der Mitte. Ja, wo sollen die Viecher denn hin? Die werden zum größten Teil vernichtet. Etwas Anderes zu behaupten ist eine Irreführung der Bevölkerung.

Die Projektbetreiber werfen den Gegnern wie „Rettet die Mur“ vor, unseriösen Aktionismus zu betreiben. Ist da was dran?

Pöllinger: Nach meinem Eindruck hat das absolut Hand und Fuß, was die sagen.

Die Investitionskosten für Puntigam gelten in Relation zum Output als relativ hoch. Warum, glauben Sie, bauen es die Projektwerber trotzdem?

Pöllinger: Weil solche Kraftwerke goldene Kühe sind, die man ewig melken kann. So ein Kraftwerk steht ja ewig und drei Tage und bedarf kaum weiterer Investitionen. Und die Tatsache, dass Wasserkraft so in den Himmel gelobt und stark gefördert wird, bewirkt, dass sie sich noch schneller amortisieren.

Aktuell gibt es Aufregung um ein weiteres Kraftwerk, um Gössendorf. Die Initiative „Blatt-Form“ hat Anzeige eingebracht, weil ihrer Meinung nach ein Waldstück ohne Rechtsgrundlage geschlägert wurde.

Pöllinger: Dieses Stück ist definitiv nicht Teil der UVP. Was sich da genau abspielt, ist derart undurchschaubar. Einen Grund für diese Fällungen hat mir bisher noch niemand sagen können.

Verfasser/in:
Gerlinde Pölsler, Interview; erschienen im Falter Stmk. 08/2011 vom 23.2.2011
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