19/05/2004
19/05/2004

Das Basarmodell - schnell, aktuell, grenzenlos und unfertig

Oder: warum der Basarstil sich vorzüglich für netzgerechtes Publizieren eignet.
Eine Anwendung von Eric Raymonds Entwicklungsmodell.

Die Metapher Basar und Kathedrale als konträre Entwicklungsmodelle habe ich von Eric Raymond übernommen, der zwar nichts mit Architektur, so wie wir sie zu kommunizieren pflegen, zu tun hat, wohl aber zu den Vor- und Wegbereitern dessen gehört, was sich unter der Oberfläche unserer Bildschirme abspielt, wenn wir uns in den Räumen des Netztes der Netze, genannt Internet bewegen: Eric Raymond ist Programmierer und Theoretiker der ersten Stunde, der dem Open Source-Modell - dem kollektiven Entwerfen von Programmen - mehr abgewinnen kann als der geheimen Entwicklung. Mittlerweile ist das Linux - Betriebssystem als praktikables Gegenmodell zu den Allmachtsphantasien und -ansprüchen von Microsoft allgemein anerkannt.
Mit seinem Essay "Die Kathedrale und der Basar" hat er mir zwar nicht die Welt des Programmierens nähergebracht, wohl aber den Zugang zum Medium Internet, das nämlich mehr ist als ein Werkzeug, das von Anfang an für Haltungen steht, für utopische gesellschaftspolitische Modelle im Sinne eines produktiven Kollektivs. Und dass es neue kommunikative Möglichkeiten eröffnet. Raymonds Vergleich zwischen Kathedrale und Basar, den er auf das Programmieren anwendet, lautet übertragen auf das Publizieren frei übersetzt so: "Ich glaubte aber auch, dass es eine kritische Komplexitätsstufe gebe, ab der ein zentralistischer Ansatz mit sehr genauer Vorausplanung erforderlich wird. Ich glaubte, dass die wichtigsten Theorien so gebaut werden müssten wie Kathedralen, sorgam gemeißelt von einzelnen Druiden oder kleinen Teams von Hohepriestern, die in totaler Abgeschiedenheit wirkten und keine unfertigen Textversionen veröffentlichen dürften. ... (Und zum Entwerfen im Kollektiv) Es handelte sich gerade nicht um eine stille und ehrfurchtsvolle Tätigkeit, wie der Bau einer Kathedrale eine ist - stattdessen schien die Linux-Gemeinde ein großer, wild durcheinander plappernder Basar von verschiedenen Zielsetzungen und Auseinandersetzungen zu sein, der ein kohärentes und stabiles System wohl nur durch eine Reihe von Wundern hervorbringen konnte."
Seither ist Raymond entschiedener und erfolgreicher Verfechter des Basarstils.
Ein ganzes Kapitel widmet Raymond der Wichtigkeit von Benutzern: "Benutzer sind etwas wunderbares, und nicht nur, weil sie deutlich vor Augen führen, dass man einem Bedarf nachkommt und etwas richtig gemacht hat. Gut kultiviert, können sie zu Mitentwicklern werden."
Als Linus Thorwalds (Mit-Erfinder von Linux) größten Verdienst sieht Raymond die Erfindung des Entwicklungsmodells im Basarstil, frei nach dem Motto: "Früher freigeben. Oft freigeben. Seinen Anwendern zuhören."
In diesem Sinne bietet das Internet genau diese Möglichkeit: einen öffentlichen Raum, in dem wir ortsungebunden in Echtzeit miteinander kommunizieren können, aus dem Neues, Unkonventionelles und noch viel mehr entstehen kann! Der Beitrag von Ute Angeringer nimmt Bezug auf die jüngst angeschnittene Diskussion in GAT anlässlich der Präsentation der neuen Architekturzeitschrift GAM.. Diese soll den Architekturdiskurs in und außerhalb der Architekturfakultät der TU Graz mit einer einmal jährlich erscheinenden Publikation und dazu geplanten, nicht näher definierten Veranstaltungen, ankurbeln, was Gernot Ritter wegen der zu weit auseinanderliegenden Erscheinungsdaten in seinem Kommentar im GAT bezweifelt.

Verfasser/in:
Ute Angeringer "Kommentar"
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