12/11/2011
12/11/2011

Videoausschnitt

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Das „Memento mori" als Motto der 54. Biennale ist nicht recht zu spüren. Venedig, umsäumt vom Wasser, platzt aus allen Kanälen. Nie drängten sich mehr Menschen, gab es hier mehr Kunst, als während der 54. Biennale. Und seit Giardini und Arsenale die neu hinzugekommenen Nationen nicht mehr fassen, nimmt die Zahl der über die Lagunenstadt verstreuten Expositionen immer mehr zu. Diese Dislozierungen sind nicht immer leicht zu finden, aber die Expeditionen zu ihnen führen immer wieder in ein fremdes Venedig, was unabhängig von den Exponaten schon für die Mühen der Fußmärsche, die Verwirrspiele mit ungenauen Stadtplänen und das Gedränge in überfüllten Vaporetti entlohnt. Bei den Albanern drüben auf der Giudecca beeindruckt Anila Rubiku mit einer sehr feinen Arbeit „Hats Protect Ideas". Sie legt einen See aus Hüten, bestickt mit poetisch-feministischen Slogans, auf dem Boden aus und säumt diese ringsum mit Reihen von Kleiderbügeln, die zusammen ebenfalls einen Text bilden: „The person who disowns his own language in order to adopt a different one changes identity and disillusions", sponsored by Borsalino.

Wunderbar – und ebenfalls schwer zu finden auch die Installationen von Karla Black im Palazzo Pisani Santa Marina. Die Schottin zeigt in den verwahrlosten Räumen des Palazzo zarte Papierarbeiten und Plastiken aus bonbonfarbener Seife – klingt beiläufig, fasziniert aber mit komplexen Spannungsverhältnissen zwischen Spontaneität und Planung, Leichtigkeit und Schwere, Eleganz und Schund.

Im Arsenale wird man von Arbeiten erdrückt, deren gelegentlich fehlende Frische durch Überdimensionierung ersetzt wird. Auch hier beeindrucken wieder Frauen mit Arbeiten, die gleichzeitig still und stark sind: Die Mexikanerin Mariana Castillo Deball präsentiert Tinte auf Baumwolle, einen langen Codex, der am Ende, begleitet von einem wunderbaren Text, in kleine, bewegte Bilder mündet. Die Fotoinstallation der Inderin Dyanait Singh beschwört, gleich wie Zarina Hashmi, Holzschnitte im indischen Pavillon /Arsenale koloniale Vergangenheit, während Gigi Scarias „gefakter" Lift den Aufstieg der indischen Mittelklasse paraphrasiert.

In den Giardini beeindrucken natürlich die großen „Brummer": etwa die Amerikaner Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla mit dem Panzer, der einem Käfer gleich auf seinem Rücken liegt. Christian Boltanskis gigantische Installation „The Wheel of Fortune" mit einem überdimensionierten, den französischen Pavillon durchziehenden Filmband, das Neugeborene zeigt, traf Tod & Leben als Themen dieser Biennale. Und im russischen, von Boris Groys kuratierten Pavillon machte Andrej Monastyrski mit „It´s just like anywhere else here – only the feeling ist stronger and incomprehension deeper" – unheimliche, wuchtige Stockbetten aus einem imaginierten Gulag – frösteln. Der leicht überschätzte, deutsche Siegerpavillon – eine posthume Arbeit von Christoph Schlingensief – traf schon mit ihrem Titel „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" präzis die derzeit herrschende germanische Talkshowhysterie und ungefähre Sentimentalität.

Trends? Vielleicht, dass das Medium Video nun endgültig nichts mehr Besonderes und in der Kunstpraxis eingemeindet ist. Vielleicht auch, dass, zumindest unter manchen Künstlern, die Skepsis gegenüber der Kuratorenkunst wächst. Wo die Künstler das Kuratieren übernehmen, sind die Ergebnisse jedenfalls weniger vorhersehbar: Franz West stellt mit „Para-Pavillon"(!) beinah eine Parodie aus, die Polin Monika Sosnowska präsentiert in „Antechamber" überzeugend Arbeiten des großen Fotografen David Goldblatt, im rumänischen Pavillon wird das Kuratorenwesen explizit in einem Text thematisiert, der über und durch die Videoprojektionen läuft: „Der Kurator wettet auf den Künstler, nicht der Künstler auf den Kurator." Und Eva Schlegel, selbst eine tolle Künstlerin, hat den österreichischen Pavillon Markus Schinwald anvertraut.

Erstaunlich dabei ist, dass Schinwald mit seiner meisterhaften, jenseits der üblichen Geschwätzigkeit liegenden Arbeit hierzulande, in Österreich, wohl registriert, aber nicht in dem Ausmaß zur Kenntnis genommen wurde, wie es seine überragende Arbeit verdient. Schinwald hat den österreichischen Pavillon in ein zweiflügeliges Labyrinth verwandelt, an dessen Ende den Besucher jeweils zwei geheimnisvolle, in den sachlich-tristen Farben einer Industrieruine gehaltene Videos erwarten. Die 5, 6 Protagonisten der Videos vollführen seltsam magische, sich wiederholende Gesten, Reaktionen auf Schmerz oder auf eine innerlich wirkende Gewalt – ein Eindruck, der durch unaufhörliche Wiederholungen und durch die sonor-getragene Filmmusik verstärkt wird. Die Wände dieses Labyrinths sind über Kniehöhe abgeschnitten. Hoch oben in den Mauerwinkeln Stuhlbeine zu magischen Figuren montiert und in Winkeln hängen „alte“ Bilder: Porträts, die Schinwald mit Gesichtsfesseln und anderen Zwangsvorrichtungen versehen hat.

Die stilsichere Installation erinnert daran, dass Schinwald sich ursprünglich mit Mode befasst hat. Allerdings entwickelt er statt oberflächlicher Dekoration eine klare Ernsthaftigkeit, ein rätselhaftes, aber in sich konsistentes System. Unbedingt und nicht nur aus Nationalstolz ein Grund, auf die 54. Biennale nach Venedig zu fahren. Noch bis 27.11.

Verfasser/in:
Wilhelm Hengstler, Rezension
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16. + 17.11.2023
 
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