04/03/2025

„In welchem Style sollen wir bauen?“, fragte schon zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts der badische Architekt Heinrich Hübsch seine Zeitgenossen. Als Unbefangener, wie er sich selbst bezeichnete, kritisierte er das verbissene Festhalten seiner Disziplin am Klassizismus. Dieser selbst war ja in gewisser Weise ein Armutszeugnis der Architektur, die auf die Überwältigung der Industrialisierung mit einer Flucht in die scheinbare Stabilität eines universalen Stils reagierte. Hübsch jedenfalls lieferte die Antwort auf seine Frage gleich mit: im Rundbogenstil!

04/03/2025

Seit einigen Jahren stilprägend: Der Doppelstabmattenzaun. Erhältlich in ganz Österreich im Baumarkt
Bild aus: Google Streetview, © 2025 Google

Heute wie damals formieren sich auch an österreichischen Architekturfakultäten die unterschiedlichsten Lager. Scheinbar unversöhnlich stehen sie sich gegenüber und gestalten unentwegt ihre eigene Genealogie, um den anderen zu beweisen, wo die neueste Mode hängt. Tatsächlich aber übersehen sie alle eines: Der letzte Schrei, man findet ihn in Österreich seit Jahrzehnten bei Obi, Hornbach und im Bauhaus.

Denn anonyme Heerscharen an Designer*innen entwerfen unbeirrt von akademischen Grabenkämpfen und in enger Absprache mit dem Bauwesen das dominierende Ortsbild Österreichs. Gewählt werden kann dabei in der Regel zwischen zwei populären Stilrichtungen: modern oder traditionell. Moderne Gabionen, traditionelle Bretterzäune aus lackiertem Stahl, Betonfliesen in Holzoptik, oder Laminatböden in Beton, XPS-Stuckleisten mit integrierten LED-Schienen und jede Menge Eingangstüren, wahlweise mit vertikalem Milchglasausschnitt oder mit traditionellem Rautenfenster. Um sie anzupreisen, entwickeln die Hersteller eine eigene Poesie: Annähernd gleich aussehende Deckenleuchten aus sich überlappenden LED-Quadraten heißen Paranday-Z, Salida oder Kassu. Haustüren dagegen tragen wenig romantische Bezeichnungen wie KF 03, AC 68-520 oder PLUS SP 70.

Die Einfamilienhauslandschaften, die wesentlich dazu beitragen, dass Österreich Spitzenreiter in der Flächenversiegelung ist, bieten den optimalen Nährboden für die lückenlose Verbreitung dieser Produkte. Sie alle verdienten einen Platz im noch nicht verfassten Führer zur anonymen Architektur des 21. Jahrhunderts. Woher beziehen ihre Entwerfer*innen die Inspirationen? Welchen Design-Schulen würden sie sich zuschreiben? Lassen sich unterscheidbare Ensembles in Eisenstadt, in Ebreichsdorf oder in Mieders ausmachen, je nachdem welche Baumarktkette dort am stärksten vertreten ist? Eines jedenfalls dürfte allen gemein sein. Die willkommenste architektonische Trägerstruktur für den Baumarkt-Stil bildet seit geraumer Zeit die zweistöckige Flachdach-Kiste.

Unklar ist, ob es daran liegt, dass Österreich „moderner“ oder genauer „sachlicher“ wird, oder ob die flache Kiste von Bauträgern bevorzugt wird, um ihre Gewinne zu maximieren. Vielleicht hat sie sich als gestalterische Mode auch selbstorganisiert verbreitet. Solche Phänomene gab es schon lange vor dem Internet. Wer sich an die 70er Jahre noch erinnern kann, wird damals verblüfft die Verbreitung von Wackeldackeln auf den Hutablagen von Autos ebenso beobachtet haben, wie die bis in die Jetztzeit hineinreichenden Holzkugelüberzüge für Autositze. Beides Beispiele für gestaltete Dinge, die ohne Werbung oder Publizität einfach durch Mundpropaganda zu Verkaufsschlagern wurden. In Zeiten der digitalen Massenverbreitung von Informationen haben sich derartige Effekte massiv verschärft; zur besseren Gestaltung unserer Umwelt hat die Geschmacksmanipulation durch „Beeinflusser“ bisher aber kaum beigetragen.

Doch handelt es sich dabei keinesfalls um ein Phänomen, das nur die breite Masse betrifft. Die neuen Feudalherren der österreichischen Immobilienbranche pflegen auf den ersten Blick zwar ihre eigene Mode, bauen sie doch weder „modern“, noch „traditionell“. Viel mehr bauen sie im Stile russischer Oligarchen. Dort herrscht eine Art Zombie-Klassizismus vor, der dessen tote Elemente zu lebenden Leichen gruppiert. Säulen, Kapitelle und Betonarchitrave, riesige Fenster und Eingangsportale, allesamt zusammengefasst zu unproportionierten Symmetrien, sind die gestalterischen Leitmotive der hochskalierten Kästen der Stumpfs und Benkos.

Mit einer bestimmten Form des Aufstiegs scheint ein Bedürfnis nach Nobilitierung verbunden, das sich auf klassische Vorbilder berufen will. Zwar wird gerne darauf verwiesen, dass die Architektur der Antike jene der Demokratie und daher Ausdruck noch heute gültiger Werte wie Gleichheit und Selbstbestimmung sei. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass auch die griechischen und römischen Prunkbauten vor allem eines ausdrücken sollten: Macht. Denn Gleichheit und Selbstbestimmung aus einer strikt patriarchalen Gesellschaft mit Sklavenhaltung abzuleiten, wäre aus heutiger Sicht bestenfalls vermessen. Schon der Umstand, dass Banken und große Konzerne seit dem 19. Jahrhundert die häufigsten Anwender des klassischen Stils waren, hat mit dieser Vorstellung weitgehend aufgeräumt. Deren Tempel zeigten vor allem, dass die Erinnerung an ein verklärtes Altertum Vertrauen schaffen sollte in weitgehend nicht auf Vertrauen, sondern auf Vorteilsnahme beruhende Geschäfte.

Gerade für Menschen, die sich – wie auch immer – finanziell nach oben arbeiten, erzeugen genau diese zwei Motive heute noch ein drittes: Zeigen zu können, dass man es geschafft hat. Man wohnt gleichsam in einer Bank. Denn an einen Tempel wird bei Benkos Villa, die gerade wegen ihrer eigentümlichen Eigentümerstruktur und der „marktüblichen“ Monatsmiete von 235.000 Euro in den Schlagzeilen ist, niemand mehr denken wollen.

Bei allem äußerlichen Unterschied gibt es aber eben auch erstaunliche Parallelen. Wo die durchschnittlichen Häuslbauer*innen ihre mit Steinflächen totversiegelten Gärten durch ein wildes Nebeneinander von Thujen- und Gabionenwänden zur wehrhaften Burg umbauen, fasst Rene Benko sein totversiegeltes Grundstück mit einem Durcheinander an noch höheren Hecken, verputzen Mauern und meterhohen Natursteinwänden ein. Während im Baumarkt die weißen Fliesen mit schwarzen Rauten in den Ecken aus Keramik sind, lässt Georg Stumpf sich dasselbe Motiv auf hunderten Quadratmetern in Naturstein verlegen. Wer hier wem als Vorbild dient, sei dahin gestellt. Die Geister jedenfalls, sie scheiden sich weniger am Stil als am Wert und Prestige des Materials. Doch auch das hochpreisige Segment wissen Baumärkte längst zu bedienen. Die Geberit-Betätigungsplatte für die Toilette gibt es bei Hornbach neuerdings auch in Gold um rund zweitausend Euro. Die Konsumindustrie mit ihren namenlosen Designern bewirtschaftet das gesamte soziale Spektrum.

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