„Kann ich mit einem Kübel Wasser in ihr Haus einbrechen?“ Diese, etwas überspitzt formulierte Publikumsfrage an Martin Rauch brachte zugleich die weitverbreitete Unsicherheit bezüglich des Bauens mit Lehm auf den Punkt. In seiner Einleitung zu Rauchs Vortrag, am 11. Oktober an der TU Graz, ging Studiendekan Hans Gangoly auf die Ausstellung „Martin Rauch – Erosion“ im HDA (noch bis 7. November!) ein, genauer gesagt auf deren Lehmboden: Dieser kann nach Ende der Ausstellung einfach mit Wasser entfernt und das Material andernorts wiederverwendet werden.
Das beschreibt sehr treffend die Grundhaltung von Rauch: Ein Haus ist Teil eines Kreislaufs, wird aus der Natur geformt und soll sich nach der Dauer seiner Nutzung wieder vollständig in diese zurückverwandeln - erodieren. Die dabei aufgewendete Energie zu Herstellung, Betrieb und Abbau soll minimiert werden, ebenso soll die Errichtung auf der ganzen Welt im Selbstbau möglich sein. Der im wahrsten Sinn des Wortes naheliegendste Baustoff ist dabei die Erde des Baugrundes: Lehm. Zertrümmertes Gestein.
Lehmbau wird spontan mit dem Süden assoziiert, war aber auch in Mitteleuropa sowohl in Form gebrannter Lehmziegel als auch als Stampflehm verbreitet. Diese, auch als Pisé-Bauweise bekannte Technik war um 1980, als sich Rauch während seines Studiums an der Akademie der Bildenden Künste mit Lehm zu beschäftigen begann, schon lange in Vergessenheit geraten. Sie ist die reinste und anspruchsvollste Form des Lehmbaus.
1993 errichtete er im LKH Feldkirch eine 150 Meter lange und sieben Meter hohe Lehmwand, die mit ihrer haptischen Erscheinung den Ort prägt und als Klimapuffer dient. Die Wand wurde nicht als Bauwerk, sondern als Kunstwerk errichtet, ansonsten wäre sie vermutlich nach tausend Wenn und Aber nie gebaut worden.
Wegen der starken Symbolkraft der rohen, ursprünglichen Erde konnte Rauch mehrere Friedhofsbauten mit Lehm umsetzen. In Batschuns verwirklichte er mit Marte Marte 2001 einen Friedhof, bei dessen Realisierung das ganze Dorf - Erde stampfend - mitwirkte. Ursprünglich um bei dem arbeitsintensiven Prozess Kosten zu sparen, entwickelte sich so eine soziale Dimension des Projektes.
Internationale Aufmerksamkeit erlangte Rauch 2000 mit der Kapelle der Versöhnung an der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße, bei der für den Jahrhunderte alten Baustoff Tragfähigkeitsnachweise erbracht werden mussten, wie sonst bei der Entwicklung eines neuen Baustoffs. Stampflehm besitzt durch die Beimischung von Trasskalk, der schon im antiken Rom verwendet wurde, ähnliche Eigenschaften wie Beton, allerdings durch das Fehlen von Zement bei deutlich geringerem Einsatz von Primärenergie.
Die Synthese seiner Erfahrungen im Bauen mit Lehm stellt Martin Rauchs eigenes Wohn- und Atelierhaus in Schlins dar, das er gemeinsam mit dem Architekten Roger Boltshauser 2007 fertigstellte. Ein förmlich aus dem Hang herausgeschnittenes Volumen, das zu 85% aus dem Erdaushub besteht. Die Außenwände des reduzierten, kubischen Baukörpers bestehen aus unbehandelten Stampflehmwänden, die von Ziegelleisten durchzogen werden. Sie betonen die horizontale Schichtung und verhindern als Erosionsbremse bei starkem Regen das Auswaschen des Materials. Dieses kontrollierte Zulassen von Erosion, das Arbeiten mit ihr nennt Rauch kalkulierte Erosion.
Im Inneren wurde mit unterschiedlichen Veredelungstechniken experimentiert. Der feine Lehmputz aus Ton und Quarzsand schimmert elfenbeinfarben, einzelne Partien sind mit einer abwaschbaren Kaseinspachtelung vergütet und die graubraunen Lehmböden mit Wachs imprägniert. Die Fliesen im Bad sowie Küchenelemente und Waschbecken bestehen aus gebranntem Lehm, der durch verschiedene Brennverfahren in Anmutung und Oberflächeneigenschaften differiert.
Da Lehm nur eine geringe Dämmwirkung besitzt, sind die Wände innen mit Schilfmatten gedämmt und in den Putz ist eine Wandheizung integriert. Durch das dem Lehm immanente Quellen ist keine zusätzliche Dichtung bei Fenster- und Türstöcken notwendig, das Material erfüllt diese Aufgabe selbst. Einbrechen kann man mit einem Kübel Wasser in das Haus übrigens nicht, dafür müsse man wohl mit einem Feuerwehrschlauch mehrere Stunden darauf halten, meinte Martin Rauch.
Neben dem gleichermaßen traditionellen und visionären Bauen ganzer Häuser kann Lehm seine Vorteile auch in Kombination mit anderen Baustoffen ausspielen. Durch die Atmungsfähigkeit sorgen Lehmwände für ein angenehmes Raumklima, wirken als Feuchtigkeits- und Wärmespeicher und bieten durch ihre Masse einen guten Schallschutz. In Form vorgefertigter Wandelemente können sie, ausgestattet mit Installationen und Leitungskanälen, zum Beispiel mit tragenden Holzkonstruktionen kombiniert werden. Durch die Wasserlöslichkeit lassen sich Fugen perfekt retuschieren und große, monolithische Flächen erzielen.
Auf traditionelle Lehmbautechniken treffen die Verfahren von Martin Rauch in Marrakesch, wo bald mit dem Bau eines Ausbildungszentrums für nachhaltiges Handwerk begonnen wird. Den Entwurf entwickelte Rauch gemeinsam mit Anna Heringer und Waibel&Nägele an einem Modell aus 300kg Ton.
Neben den ökologischen, technischen und ästhetischen Qualitäten von Lehm darf die gesellschaftspolitische Komponente nicht übersehen werden. Aus Stampflehm können überall auf der Welt Gebäude mit lokalen Materialien, ohne viele technische Hilfsmittel in Eigenleistung errichtet werden. Dass dieser Low-Tech-Ansatz funktioniert hat Martin Rauch in einem Workshop in Bangladesh unter Beweis gestellt. Bei uns, wo Arbeitskraft teuer und Energie vergleichsweise billig ist, ist ein Lehmbau geringfügig teurer als ein konventionelles Haus. Aber das sind SUVs und Doppelgaragen auch. Alles eine Frage der Prioritäten, wie Martin Rauch es formulierte.
AUSSTELLUNG
“Martin Rauch – Erosion“
Dauer: Bis 07.11.2010
Ort: HDA Graz, Palais Thinnfeld
Mariahilferstraße 2, 8020 Graz
- Verfasser/in:
- Martin Grabner, Bericht