24/04/2004
24/04/2004

Die Aussage des Grazer Bürgermeisters Siegfried Nagl, dass Schönheit und Nutzen eines Bauvorhabens oft auseinanderliegen, war für die Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten Anlass für einen offenen Brief an den Bürgermeister.

Offener Brief

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Nagl,
natürlich ist auch der Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Österreichs eine Privatperson und hat wie jeder andere Bürger ein Recht auf Privatsphäre. Als höchster Amtsinhaber, der die Geschicke dieser Stadt über eine bestimmte Zeitspanne lenkt und leitet, steht er jedoch mehr als jeder Bürger im Licht der Öffentlichkeit. Sein Tun hat daher nicht nur Öffentlichkeits-, sondern auch Vorbildcharakter. Hält der Bürgermeister die ethischen Normen zivilen Zusammenlebens nicht ein, so kann das fatale Auswirkungen haben.
Wer, wenn nicht Sie als erster Bürger dieser Stadt sollte ein negatives Gutachten der Altstadt-sachverständigenkommision ASVK außer Streit stellen und es als Expertenmeinung eines Gremiums, das 1980 zum Wohle der Stadt initiiert wurde, vollinhaltlich respektieren. Seit ihrer Installation hat die ASVK durch ihre empfehlende Gutachtertätigkeit wesentlich zur Erhaltung des Erscheinungsbildes und damit der Qualitäten der Altstadt beigetragen, für die Graz als Weltkultur-Erbe ausgezeichnet wurde.
Als besondere, die Stadt Graz charakterisierende Qualität wird von Fachleuten immer wieder die Tatsache hervorgehoben, dass es in Graz vorbildlich gelingt, historisches Bauerbe und modernes Bauen in Einklang zu bringen.
Das ist kein Zufall.
Es liegt auch darin begründet, dass Graz eine Vielzahl an heimischen Architekten vorweisen kann, deren Arbeit hohe Qualität garantiert. Architektonische Qualität bedeutet, Funktionalität und gestalterische Qualität - in Ihren Worten: Nutzen und Schönheit - in einem Bauwerk vereinen zu können und zwar unter Berücksichtigung aller gesetzlich, städtebaulich und sozial relevanten Randbedingungen.
Dieses Bestreben konterkarieren Sie mit Ihrer Aussage, dass „Schönheit und Nutzen oft auseinanderliegen“, wenn es um die maximale Verwertbarkeit von Bauprojekten wie den „Murgalerien“ geht, die auf Ihrem zu verkaufenden Grundstück errichtet werden sollen.
Damit öffnen Sie einem nur auf Nützlichkeit und Gewinnoptimierung konzentrierten Denken Tür und Tor. Das wird, sollte es sich künftig durchsetzen können, mit Sicherheit nicht zur weiteren positiven Entwicklung der außerordentlichen Bauqualität in der Stadt Graz beitragen.
Alle für die gedeihliche Entwicklung der Stadt Graz verantwortlichen Kräfte sind aufgerufen, sich des Titels „Weltkultur-Erbe“, auf den Sie mit Recht stolz sind, wie Sie betonen, würdig zu erweisen.
Die Architekturschaffenden dieser Stadt und des Landes bekennen sich zu ihrem Anteil an einem Kulturauftrag, der den hohen Standard der historischen wie der zeitgenössischen Baukultur erhalten will. Sie macht einen wesentlichen Teil der Identität der Stadt Graz aus.

Nehmen Sie bitte Ihre Vorbildfunktion wahr und wahren Sie Ihre Integrität zum Wohle dieser Stadt !

Mit freundlichen Grüßen
Architekt Dipl.-Ing. Werner Nussmüller
Präsident

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