Verlorene Industrieromantik auf Kaufhausdach
Die lange Zeit des Leer- sowie Stillstands brachte besonders auf dem Dach des Kaufhauses eine bezaubernde, wilde Spontanvegetation ans Tageslicht. Das Flachdach war unterteilt in einen großzügigen Freibereich mit Terrasse im Westen, ausgelegt mit Waschbetonplatten, in deren Fugen sich im Laufe der Zeit wilde Birken und Pappeln behaupten konnten. Im östlichen Bereich befand sich ein extensiv begrüntes Flachdach mit einer Vielzahl an niederwüchsigen Baum- und Strauchart sowie Sukkulenten wie Fetthenne oder Natternkopf, die eine Vielzahl an Insekten nach Pollen absuchten. Dazwischen eine Art Blechtonnen-Schutzdach, welches einen Freibereich überdachte. Hier herrschte ein Ensemble aus hochgewachsenen Königskerzen, Birken und alten Bürostühlen. Der Zauber der ruderalen Dachlandschaft inkludierte neben dem vorherrschenden Wildwuchs auch den weitreichenden Ausblick ins Gewerbegebiet zu den rauchenden Schloten der Chemie, den Hochöfen der Voest-Alpine Stahl AG und darüber hinaus bei guter Sicht bis zur Gebirgskette der Voralpen. Diese Kombination aus Wildwuchs und Industrie hat mich des Öfteren aufs Dach gelockt.
In der Zeit, zu der noch das Restaurant im Obergeschoss untergebracht war, konnte man einen Blick am Ende des Stiegenhauses durch eine Glastür auf die Dachfläche erhaschen oder bei Anfrage kurz das Deck betreten. Die Dachterrasse hätte sicher auch für temporäre Veranstaltungen genutzt werden können. Leider war mir das schwer möglich, da die gesamte Konkursmasse von Quelle von einer Zentrale in Deutschland aus gemanagt wurde und es vor Ort keine direkte Ansprechperson gab, um real Zugriff auf die Flächen zu bekommen. Nur ab und an kam ein Haustechniker vorbei, um Kontrollen oder Wartungsarbeiten in den stillgelegten Bereichen des Gebäudes durchzuführen.
Mich schmerzt es zu sehen, dass der vielfältige Pflanzenbestand auf dem Gründach, der über Dekaden hindurch angewachsen war, samt den Insekten und Vögeln mit einem Schlag verschwunden ist. Bedenkt man den Aufwand, der bei der Planung des Kaufhauses zur Umsetzung einer Dachvegetation mit speziellem Dachaufbau und Substrat samt passender Vegetation getätigt wurde – mit einem Mal vernichtet.
Dachpflanzen – Rettungsversuch
„strong wired plantroots on industrial rooftops – instead wireless in cyberspace“
Bei glühender Hitze und noch unmittelbar vor Abbruch des Gebäudes erntete ich im Sommer 2024 mit Erlaubnis der Baufirma Pflanzenbestand vom alten Kaufhausdach. Vermutlich schon einige Jahrzehnte wuchsen hier Pflanzen im mageren, maximal 10 cm hohen Dachsubstrat. Die Wuchshöhe der Bäumchen, hauptsächlich Birken und Pappeln, war gering, aber proportional dazu das Ausmaß der Wurzeln beachtlich. Pflanzenauswahl: Fetthenne, Natternkopf, Rostweide, Pappeln, Birken …
Die eingesammelten Pflanzen versuchte ich behutsam mit Wurzelstock und Substrat in Kisten zu packen. Versuchsweise setzte ich die Pflanzen in unmittelbarer Nähe auf unser Flachdach im Klimaoase-Garten. Dieses Jahr wird sich zeigen, ob ich die Dachpflanzen vom ehemaligen Kaufhaus retten konnte.
Was tritt an die Stelle einer entmaterialisierten Welt?
Im internationalen Vergleich zu anderen europäischen Städten, die mit Industrieleerständen zu kämpfen haben, ist es in Linz ein Glücksfall, dass es hier noch ansässige Betriebe wie Plasser & Theurer gibt, die Leerstände im Gebiet übernehmen können und damit den Wirtschaftsstandort stärken. Mit dem lokalen Know-how wie spezieller „Schweißtechnikverfahren“ und patentierter „Gleisstopfmaschinen“ hat sich Plasser & Theurer weltweit einen Namen gemacht.
100.000 Menschen pendeln täglich in die Landeshauptstadt. Die meisten davon arbeiten in der Voest-Alpine Stahl AG und in den Betrieben hier im Linzer Osten. Der Stau am Morgen und am späteren Nachmittag ist zur Gewohnheit geworden. Viele wohnen im Umland im Grünen, darunter viele Nebenerwerbsbauern und „Schichtler“. Die meisten fahren immer noch mit dem Auto zur Arbeit in die Stadt, um ihr Geld zu verdienen. Der Fordismus hat hier noch keine fruchtbare Alternative gefunden. Von der Stadtautobahn kommend verteilt sich der Verkehr hauptsächlich über die nord-süd verlaufende Industriezeile zu den Betrieben. Arbeiter und Bedienstete tauchen hier an der Industriezeile ein, in ein Grau-in-Grau von Zufahrtsstraßen, versiegelten Parkplätzen und Gewerbeobjekten. Es fehlt an menschenwürdigen Pausenräumen mit Bezug zu Grün.