Analog und digital
Fast zur selben Zeit, als Fred Achammer noch per Hand im Innsbrucker Büro seine Pläne für ein modernes Kaufhaus in Linz zeichnete, verfasste bereits Ende der 1970er Jahre der damals schon einschlägig bekannte Grafikdesigner, Typograf und Dozent Otl Aicher Texte, in denen er jene Dissonanzen des voranschreitenden digitalen Zeitalters aufzeigen konnte, die unsere gegenwärtige Welt großteils widerspiegelt. Er beklagte darin unter anderem das Problem einer Generalisierung der Gesellschaft und den damit einhergehenden Verlust der Phänomene in der Welt.
„Unser Konsumverhalten, ob zum Guten oder zum Schlechten, wird primär zuerst durch die Sprache der Werbung, vornehmlich die Sprache der Bilder, bestimmt. Urlaubsziele, Produkte, Verhaltensformen werden im Bild vermittelt, oft in einer bewusst inszenierten Bilddarstellung. Man hat die Sprache der Produkte entdeckt, widmet ihrem Aussehen dieselbe Aufmerksamkeit wie ihrer technischen Qualität. Auch die Architektur wird heute als Aussage verstanden. Ihr Erscheinungsbild gibt Aufschluss über Konstruktion, über innere Funktion, über die tragende Institution, sogar über Haltung und Gesinnung.“ <Otl Aicher>
„Computer sind extrem genau, sie ermitteln die Durchschnittsgröße der Deutschen auf beliebige Stellen hinter dem Komma. Nur eine Einzelgröße lässt sich nicht aus einer allgemeinen Durchschnittsgröße errechnen. Das heißt, die Generalisierung fängt nichts an mit dem Konkreten. Die Generalisierung entflieht der Realität. Die Generalisierung drückt sich vor dem Besonderen.“ <Otl Aicher>
Was Otl Aicher damals noch nicht wissen konnte: Dass die „Artificial Intelligence“ und immer schnellere Rechnerleistung imstande sein werden, eine Informations- und Bilderflut in Lichtgeschwindigkeit zu erzeugen, die jeden Erdenbürger auf seinem Smartphone täglich erreichen wird. Ehrlich gesagt wissen das im Moment auch die Wenigsten. Sie sind aber täglich damit konfrontiert.
Krieg der Maschinen
Nicht nur die Bilder, sondern auch die Maschinen haben zu „laufen“ begonnen. Die moderne Kriegsführung in Syrien zeigte, dass in monatlichen Intervallen neue technische Hilfsmittel herangezogen werden und diese dadurch auch die Kriegsabläufe entscheidend verändern. Die aktuelle weltweite politische Situation besteht aus einer Angstpolitik mit einem gegenseitigen Wettrüsten der Länder. Die bisher vorherrschenden Machtpositionen scheinen zu bröckeln. Polen wird dieses Jahr 5 % seines Bruttoinlandsprodukts, also 40 Milliarden Euro, in Verteidigungsmaßnahmen aus Angst vor dem Aggressor Russland investieren*, darunter 1.000 neue Panzer. Eine „Show-Abwehr“, um gegenüber Russland Eindruck zu schüren?
Doch wie schon der Krieg in Syrien zeigte, sind Panzer behäbiges Kriegsmaterial von gestern geworden, welche nur in den Medien als starkes „Symbol“ von Kraft und Abwehr herangezogen werden. Die Realität scheint fast schon so wie im Film „Terminator – Rebellion der Maschinen“ abzulaufen – hier haben das Schlachtfeld Maschinen eingenommen, die sich gegenseitig bekriegen. Menschen verschanzen sich in Bunkern, und darüber herrscht Krieg der Maschinen.
Selbst die neutrale Schweiz erhöht gegenwärtig ihre „wehrhaften Maßnahmen“. Erforscht und entwickelt werden effiziente Tötungsmaschinen wie Drohnen oder Transportroboter. „Es ist absehbar, dass ein Soldat von einer Drohne im Krieg abgelöst wird, es wird noch einiges an Zeit brauchen ... Drohnen mit einer Wirkladung von 3 Gramm Sprengstoff können sehr viel anrichten“, so Mark Höpflinger, Leiter des Schweizer Drohnen- und Robotikzentrums. Zudem betreibt die Schweiz 1.570 unterirdische Schutzanlagen, zum Teil aus Zeiten des „Kalten Krieges“, die für 9 Millionen Menschen (Einsatzkräfte und Zivilbevölkerung) mehrere Tage unterirdisch das Überleben sichern sollen.
Tabula Rasa versus Refurbished Architecture
Firmen bemühen sich, nachhaltig zu produzieren und sind dabei sehr erfolgreich, ihren Betrieb zu optimieren. Leider scheint diese Konsequenz am Neubau von Industrieobjekten (noch) nicht ernsthaft verfolgt zu werden. „Glut-Architektur“ nennt sich ein Planungsbüro mit Sitz in Wien und Linz. Es bekam den Auftrag, ein neues Montage- und Inbetriebnahmebauwerk anstelle des alten Quelle-Kaufhauses auf 12.000 m² für die Firma Plasser & Theurer zu planen. Eine Bautafel an der Industriezeile zeigt eine Visualisierung des neuen Betriebsgebäudes mit großzügig offener, erdgeschossiger Schau-Fassade.
Wäre es schwierig gewesen, die Dimensionen von Gleisbaumaschinen in den bestehenden Baukörper eines Kaufhauses zu integrieren? Der Primärbau des Stahlbetonskelettbaus des alten Kaufhauses mit 12 Meter Säulenachsenabstand hätte wohl eine gewisse Flexibilität zugelassen, doch bei Anbetracht der neuen Nutzungsanforderungen war das wohl nicht ausreichend. Betrachtet man die ausgehobenen Fundamentgruben und Dimensionierung der Punktfundamente (s. Foto; Stand Februar 2025), wird das Ausmaß für das neue Gebäude ersichtlich – dafür war das alte Kaufhaus unterdimensioniert.
Dennoch frage ich mich, ob man zumindest bauliche Fragmente wie bestehende Stiegenhäuser, Betonträger oder Fassadenelemente einer zukünftigen Nachnutzung hätte beimessen können. Dies hätte die CO₂-Bilanz für den Neubau verbessern können. Das Gebäude wurde bis auf den Keller und die Fundamente abgerissen, darunter auch weit auskragende Betonträger, die von Baggern mit Beißaufsatz vor Ort zerkleinert und von mobilen Brechmühlen zu riesigen Abbruchhügeln mühselig aufgeschüttet wurden. Das Bild der Abbruchbaustelle kam eine Weile, mit den eingestürzten Decken und Wänden, riesigen Staubwolken und lautem Maschinengetöse, den Bildern medialer Berichterstattung über Kriegszerstörungen gleich.
Ob mit oder ohne Kriege – Ressourcen, besonders jene im Baugewerbe wie etwa Bausande, werden international knapp. Beton, Glas und Metall haben einen hohen Energieverbrauch und erheblichen CO₂-Ausstoß in ihrer Herstellung – längst an der Zeit, auch Gewerbeobjekte in dieser Hinsicht nachhaltiger zu gestalten.
Cyper
Lieber Herr Wiesmayr,
ich verstehe den Begriff "Cyper" nicht. Da finde ich zwar online einige Anwendungen bzw. Gebrauch, weiß aber nicht, ob mich da KI austrixt. Ich denke an "Cyborg", biologisch kybernetischer Organsimus nach Clynes und Kline, oder an William Gibsons "Cyberspace". ???
Mit freundlichen Grüßen
Antwort auf Cyper von Wenzel Mracek
p oder b, ist hier die Frage
Lieber Wenzel Mracek, selbstverständlich muss aus dem "p" ein "b" werden. Wir danken für den Hinweis.
Antwort auf Cyper von Wenzel Mracek
analoge werte im cyber space
Lieber Wenzel Mracek;
danke für die berechtigte Frage. Der Originaltitel in der Treib.Gut-Ausgabe lautet: "Auf der Suche nach der Quelle analoger Werte in der Cyber Reality"
Ich verstehe es so, dass ich den Begriff der Cyber Reality, also der virtuellen Realität gegenwärtig schon sehr fluide wahrnehme. Also die Grenzen zwischen der analogen und der digital geprägten Welt alleine schon durch tägliche Nutzung von Smartphones verschwimmen und die Bilderflut durch AI ;Bots oder dgl. Stichwort "Slop" ,"Fake-news" Irritationen hervorbringen die sich im gelebten Alltag niederschlagen und zu einem verzerrten und verfälschten Realitätsbild führen "können". Ich, persönlich und das ist meine eigene Auffassung verstehe unsere Gegenwart schon als gelebte Cyber Realität ohne dabei eine Virtuelle Brille aufsetzen zu müssen. Hier eine aktuelle Arte-Doku... https://www.youtube.com/watch?v=cGmVehWBdHI; best, christoph