Treffsicher und unangemessen: über die Ambivalenz von Redensarten
"Schuster, bleib bei deinem Leisten!" – dieser Aufruf war mir immer schon suspekt. Ein Leben lang an einer Sache arbeiten, sich in ein Thema vertiefen, sich in nanoteilchengroße Details verbohren, nein, danke. Nie über den eigenen Tellerrand schauen, nie in fremden Gefilden jagen und erwartungsvoll ins Ungewisse treten – das stellte ich mir immer schon urfad vor. Immer war mir der Radiomacher, der zum Museumsdirektor gekürt werden konnte, weil ein 360 Grad-Blickwinkel die Basis seines Arbeitens war, näher als der ein Arbeitsleben lange Beobachter von Zellkulturen.
Gerade heute, so scheint mir, müsste ein breites, vielfältiges Interesse an der Welt und den Vorgängen in ihr von Vorteil sein, um im Verteilungskampf von Jobs die Nase vorn zu haben. Ist nicht überall Persönlichkeit gefragt? Was auch immer darunter verstanden wird, nur einseitiges Fachwissen, mag es noch so gründlich sein, wird nicht zum Punktehöchststand führen.
Andererseits wird der Appell an den Schuster im übertragenen Sinne gebraucht, wenn einer etwas tut oder sagt, ohne Kenntnisse auf dem jeweiligen Gebiet zu haben. Nichts lächerlicher als jener Kurzzeit-Tourismuschef in Graz, der meinte, touristische Attraktionen für Graz selbst erfinden zu müssen und in seiner Freizeit eine gläserne Brücke über die Mur zeichnete. Ihre Geschichte: außer auf einer dilettantischen Zeichnung, Marke Siemens Lufthaken, in der „Kleinen“ ward sie nie wieder gesichtet. Des Verfassers Schicksal ist unbekannt.
Und doch muss heute so mancher auf ihm gänzlich fremdem Parkett reüssieren, wenn er oder sie von einem Tag zum anderen von der Unternehmerin Schottermitzi zur Innenministerin, vom juvenilen JuVo zum Außenminister und jüngst zum Bundesparteiobmann wird. Oder vom Chef des Stadtrechnungshofes über den FH-Geschäftsführer zum Grazer Kulturstadtrat. Da machte (Konjunktiv) es sich bezahlt, das ganze Leben in seiner Buntheit immer schon als Kulturleistung gesehen zu haben, in der die Kunst eine wesentliche, den Menschen bereichernde Rolle einnimmt, mit der man sich konfrontieren möchte. Hat man das nicht, dann kann man in seinem Amt immer noch freudig jeden einzelnen Bekannten im Vernissagenpublikum erwähnen und erzählen, woher man ihn kennt und was einander verbindet, um dazu zu gehören. So geschehen bei den letzten Ausstellungseröffnungen, denen ich beigewohnt habe.
Man könnte sich auch seine Eröffnungsrede von Kundigen schreiben lassen. Schließlich kann Mann nicht überall Experte sein. Unfair, wer dem Herrn Kulturstadtrat rät, die amtliche Sommerpause dazu zu nützen, sich in seine Funktion einzuarbeiten, muss er doch auch für die Stadtfinanzen gerade stehen in seiner Doppelfunktion als Finanz- und Kulturstadtrat. Der Schnellsiedekurs lehrt, Mann soll es mit Voltaire halten, der sagt: „Alle Kunstgattungen sind gut, mit Ausnahme der langweiligen.“ Voltaire, wer?