Um die zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit rund um Themen wie Klimawandel, hohe Wohnkosten oder sozialen Zusammenhalt zu meistern, sind kreative Lösungsansätze auch in der Architektur gefragt. Die Standesvertretung der Ziviltechniker:innen, die sich hierbei in einer Vorreiterrolle sehen, lud daher am 16. Oktober ganz im Zeichen der Architekturforschung zu zwei Veranstaltungen in das Architekturzentrum Wien (Az W).
Gesellschaftlichen Wandel gestalten
Themen und Methoden aktueller Architekturforschung sind ebenso vielfältig wie die Herausforderungen selbst. Im Fokus stehen der Nutzen für die Praxis ebenso wie ein gesellschaftlicher Beitrag. Geforscht wird nicht nur zu technischen Themenbereichen wie 3D-Druck oder Materialentwicklung, sondern etwa auch zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen, zu urbanen Transformationen oder zum leistbaren Wohnbau. „Architektur ist damit immer auch ein Beitrag zu Demokratie und Gemeinschaft”, betonte Eva-Maria Holzleitner, Bundesministerin für Frauen, Wissenschaft und Forschung, in ihrer übermittelten Videobotschaft.
Einen Beitrag zur gesellschaftlichen Transformation zu leisten, bedeutet auch die wiederholte Auseinandersetzung und Neupositionierung der Rolle der Architekt:in. Denn „trotz zunehmender Spezialisierungen müssen Architekt:innen den gesellschaftlichen Kontext – das große Ganze – im Blick haben. Die Herausforderungen entwickeln sich ständig weiter, und wir müssen dies auch tun“, unterstrich die Architektin und Vorsitzende der Bundessektion Architekt:innen Katharina Fröch. Der Forschung komme hierbei eine zentrale Rolle zu, indem diese neue Möglichkeiten und Wege ausprobiere und aufzeige, so Fröch. Um diese Entwicklungen gemeinsam mit Forschung, Lehre und Praxis zu gestalten, wurde von der Bundessektion Architekt:innen im September 2021 der Think Tank Architekturausbildung ins Leben gerufen, ergänzte Fröch. Ziel des Think Tanks sei es einen Rahmen zu schaffen, der gewährleistet, dass sich Praxis und Lehre langfristig und regelmäßig über die aktuellen Herausforderungen in dem Bereich der Architekturausbildung und -Lehre austauschen. Dieser Austausch sei besonders vor dem Hintergrund einer sich stetig verändernden Arbeitswelt der Architekt:innen, sowie wechselnden Verantwortlichen an den Universitäten von hoher Relevanz. Mit dem Think Tank möchte man nicht nur Einblicke in die aktuellen Problemfelder von Lehre und Praxis ermöglichen, sondern vor allem auch die Zusammenarbeit unterschiedlichster Universitäten unterstützen und intensivieren, um die Architekturforschung zu stärken, insbesondere auch zur Unterstützung bei der Akquise von Forschungsgeldern und Drittmitteln.
Architekturforschung mit Potenzial
Den Abschluss des Abends bildete die feierliche Übergabe der Forschungs- und Wissenschaftspreise für besonders innovative Abschlussarbeiten im Bereich Architektur an Master- und PhD-Studierende. Unterschiedliche Herangehensweisen an die Architektur prägen die ausgezeichneten an verschiedenen österreichischen Institutionen eingereichten Diplomarbeiten. Ob es dabei um die Transformation des Stadtgefüges, um Nachverdichtung, innovative Wiederverwendung von Materialien oder um kulturell relevante Fragestellungen wie etwa der Umgang mit Bestandsbauten geht, widerspiegelt die durchwegs hohe Qualität und Innovationskraft aller ausgezeichneten Abschlussarbeiten das große Potenzial der Architekturforschung, komplexe Fragestellungen über die Grenzen der Architektur hinaus zu beantworten. Die folgende kleine Auswahl aus allen durchwegs interessanten prämierten Arbeiten, die auf der Website der Bundeskammer der Ziviltechnier:innen allesamt heruntergeladen werden können, sollte Appetit machen, sich alle Projekte unbedingt näher anzusehen.
In Jakob Bocks Masterarbeit Architektur an der TU Graz mit dem Titel „Mirror, Mirror on the Curtain Wall. Magische Bauteile, gesteigerte Gefühlswelten und das Material Einwegspiegelglas“, geht es um den Baustoff Glas, genauer um Einwegspiegelglas. Spiegelnde Fassade sind mitverantwortlich für überhitzte Straßen oder dafür, dass viele Vögel jedes Jahr beim Aufeinandertreffen mit gläserner Architektur sterben. Bock führt uns diese Verbindung von Architektur und Umwelt vor Augen. Und es verwundert, dass man dem Material und seiner Geschichte bisher nur wenig Platz eingeräumt hat.
René Findl, entwickelt in seiner auf einen reellen Standort in der Steiermark bezogenen Arbeit „Kindergarten im Wandel. Jung trifft Alt“ an der FH Joanneum ein Konzept, das eine Architektur des Miteinander schafft mit einem „Ort an dem Alt und Jung nicht nebeneinander sondern miteinander leben und voneinander lernen“ und hofft, dass „der Entwurf als Modell für ähnliche ländliche Regionen dienen kann“.
Christopher Juwan wiederum verweist mit seiner Masterarbeit an der FH Kärnten„Die Bautypologie des Kärntner Pfeilerstadels. Nachnutzungspotenzial eines regionalen Kulturguts“, auf die mangelhafte wissenschaftliche Aufarbeitung des historischen Bautypus des Kärntner Pfeilerstadels. Im zweiten Teil seiner Arbeit verdeutlicht er das Nachnutzungspotenzial des Kärntner Pfeilerstadels anhand von Entwürfen zu einem konkreten Beispiel.
Moritz Berger und Flora Kirnbauer widmen sich in ihrer Masterarbeit an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz, Institut für Raum und Design Architektur, sowohl den Relikten als auch dem Potenzial ehemaliger Wassermühlen. „Die Vielzahl noch bestehender Strukturen prägt die ländliche Umgebung und ist Zeugnis eines fast vergessenen Kulturguts, mit dem Ziel der Wiederbelebung, Förderung und Vernetzung der Mühlenstandorte: ein kultureller Beitrag zur Belebung der ländlichen Umgebung“.
In ihrer Masterarbeit an der Universität für Angewandte Kunst, Studio Lynn „Plasti.Care. Transforming Short-lived Plastic into Durable Architecture for a Selfcare Center“ befasst sich Naomi Neururer mit dem Material Plastik. „Die Architektur steht heute vor der dringenden Aufgabe, nicht nur funktionale und ästhetische Räume zu schaffen, sondern auch Antworten auf ökologische und soziale Herausforderungen zu liefern. In diesem Spannungsfeld bewegt sich diese Masterarbeit Plasti.Care – ein architektonisches Projekt, das sich dem Potenzial von Plastik widmet, eines Materials, das üblicherweise mit Umweltverschmutzung und Wertlosigkeit assoziiert wird“.
Oder allein dem geschriebenen Wort widmet sich die Arbeit Anne Rotter. „Inzwischen, essayistische Beiträge zu Architektur“ eingereicht an der Kunstuni Linz, ist eine Annäherung an die vielschichtige Welt der Architektur, die wie die Verfasserin selbst einleitend anmerkt, „am Ende meines Studiums einem ersten Innehalten gleichkommt“. In den 21 Reflexionen interessiert Rotter „das, was jenseits von Technik, Funktion, Fläche und dergleichen liegt: poetische Qualitäten und atmosphärische Kräfte“. In den thematischen Essays werden jeweils allgemeine und persönliche Seiten im Wahrnehmen, Denken und Machen von Architektur beleuchtet. Mit dem Ziel: als Raumwahrnehmende und Raumschaffende zugleich die Grenzbereiche zwischen Erfahren und Gestalten auszuloten.
Verdienste um die Baukultur
Ein weiterer Höhepunkt des Abends war die Verleihung der Ehrennadel der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen. Mit der selten vergebene Auszeichnung wurde Wolfgang Gleissner, bis 2024 Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft, für seine Verdienste um die Baukultur gewürdigt und Architekt Daniel Fügenschuh, Präsident der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen, unterstrich in seiner Laudatio Gleissners wichtige Rolle: „Die BIG nimmt als große öffentliche Auftraggeberin seit vielen Jahren eine Vorreiterrolle ein. Schon früh hat Wolfgang Gleissner erkannt, dass Qualitätsvergaben wie Architekturwettbewerbe nicht nur die qualitativ besten Lösungen liefern, sondern auch kosteneffiziente Projekte hervorbringen. Heute wird so gut wie jedes BIG-Projekt mit einem Wettbewerb gebaut und das sehr erfolgreich. Dies hat eine enorme Strahlkraft auch für jene öffentlichen Auftraggeber:innen oder Projekte mit öffentlicher Förderung, bei denen es noch Aufholbedarf gibt. Überdies initiieren Wettbewerbe auch Forschung. Das Entwerfen – die Kernkompetenz von Architekt:innen – setzt die tiefgreifende Auseinandersetzung mit verschiedensten Aspekten voraus, um innovative Lösungen zu finden.“
Preisträgerin der TU Graz
Und warum fehlt in der Aufzählung die Preisträgerin der TU Graz?
Redaktionelle Willkür oder journalistische Ignoranz?
Sehr enttäuschend für eine steiermärkische Architekturplattform!
Antwort auf Preisträgerin der TU Graz von Armin Stocker
Aus Wiener Perspektive...
Lieber Herr Stocker, Sie haben sicher den Vermerk Redaktion GAT/Wien gelesen. Dass hier die steirische Auswahl nicht "vollständig" stattfand, hat auch mit dem seit 2023 etablierten Ziel einer nicht ausschließlich auf die Steiermark konzentrierten Berichterstattung zu tun. Aber natürlich hätten wir gerne alle Preisträger:innen in dem Bericht erwähnt, weshalb der Link zur vollständigen Liste auch gut sichtbar am Ende platziert ist. Alle haben herausragende Leistungen erbracht.
Um die Preisträger:innen der TU Graz und der FH Joanneum hier zu vervollständigen:
Name: Athena Paskucz
Titel der Arbeit: “The One Wall - Cultural Center Graz”
Betreuer: Tim Wakonig-Lüking
Fachhochschule: FH Joanneum
Name: Budour Khalil
Titel der Arbeit: “The Massar “Rose:” Ideology, Crisis, and Suspended Time”
Betreuer: Anselm Wagner
Universität: Technische Universität Graz