Die Weichen sind gestellt. Ein neues, schweres Jahr kommt schön langsam ins Rollen, nimmt unter Donnergrollen rasch Fahrt auf und fegt über Land und Leute hinweg, über alle Zu-Spät-Gekommenen, Dahergelaufenen, Verirrten und Verwirrten, abgestürzten Trittbrettfahrer, Entscheidungsschwachen, Orientierungslosen. Uferlosen, Bodenlosen, über all jene, die nicht (mehr) am Zug sind. Gib Dir den Kick, setze Dein Kreuz, unter dem Du begraben sein willst, im unbefleckten Heimatboden Deines geliebten Vaterlandes, setze auf jeden Fall ein Kreuz, als Zeichen der Verbundenheit, der Verbindlichkeit der Tradition, der Kulturalisierung und Sozialisierung, setze ein Zeichen, Kruzifix noch einmal! Und dann noch einmal: Gib Dir den Kickl!
Viele werden den Gürtel enger schnallen müssen, zumindest insoweit lassen sich die derzeitigen Koalitionsverhandlungen und Budgetdebatten deuten, erspart wird es nur denjenigen bleiben, deren Ersparnisse nicht für einen Gürtel gereicht haben. Sollte die FPÖ sich gegenüber der ÖVP unerwarteterweise durchzusetzen vermögen und den vermögenden Banken adäquate, aliquote Abgaben abringen, hätten sie dann doch einen Sieg für die soziale Gerechtigkeit zu verbuchen (oder wieder Geld in den Staatskassen, dass dann in irgendwelchen schwarzen Löchern, vertrauten Quellen verschwinden kann), den die ÖVP der Bevölkerung seit dem für den staatlichen und individuellen Wohlstand einschneidenden Jahr 2008 vorenthalten hat und dadurch den umverteilenden Wohlfahrtsstaat endgültig zum Erliegen brachte. Bleibt nur noch die Wallfahrt und ein bisschen Beten, uns im rechten Glauben zu vereinigen und darauf zu hoffen, dass es zumindest einem selbst bald wieder besser geht. Kruzifix noch einmal!
Als es in Österreich im Jahr 2000 zur schwarz-blauen Koalition unter Wolfgang Schüssel kam, war die Beteiligung einer rechtspopulistischen Partei in der Regierung ein internationaler Aufschrei und Skandal. In Österreich selbst, wo man gerade einmal anfing, seine Rolle im Zweiten Weltkrieg zu hinterfragen, sich über eine Mitschuld und Mittäterschaft an den Gräueltaten Gedanken machte und vielleicht mancherorts noch darüber wunderte, dass Hakenkreuze an Schulen nichts zu suchen hätten, ließ man sich vom internationalen Druck nicht entmutigen. Heute können wir stolz darauf sein, zum wiederholten Male mit nationalistischer Ideologie und paranoider Migrationspolitik die globale Vorreiterrolle übernommen zu haben. Viele Österreicherinnen und Österreicher wissen bis heute nicht, dass der Begriff „Rechtsstaat“ von den Rechten (also vom Recht) ausgeht, die die Bevölkerung wiederum auch einfordern kann und nicht, dass er von den Rechten ausgeht, bei denen man wiederum was einfordern kann.
Irgendwie ist alles seltsam. Seit es Zivilisationen gibt, gibt es Herrschende und Unterdrückte, einflussreiche Familien und Mägde und Knechte, Fußvolk. Dann gibt es da noch einen strafenden Gott, der alles bis in die düstersten Winkel jedes Lebens sieht und überwacht. Wenn uns nicht die Armeen der Herrschenden auf unseren Fehltritten und Irrwegen ertappen und zur Rechenschaft ziehen, dann wird uns spätestens beim Jüngsten Gericht die Rechnung präsentiert. Irgendwann kommt das Konzept der Selbstbestimmung auf, ein unabgeschlossenes Projekt namens „Aufklärung“ nimmt seinen Anfang, von Descartes über Leibniz, Spinoza, Wolff, von Pufendorf, Hobbes, Locke, Hume, Smith, bis Rousseau, Pascal, Voltaire, d’Alembert, Montesqieu, Vico, Lessing, Kant, Jefferson, Hutcheson, Smith (letztere zwei als Vertreter der Wohlfahrtstheorien) werden Denkwerkzeuge gefunden, die die Menschen aus dem Joch herrschaftlichen Denkens in eine selbstbestimmte Unbestimmtheit entlassen. 1689 wurde in England die Bill of Rights verabschiedet, 1776 entstand mit den USA die erste moderne Demokratie, 1789 dann die Französische Revolution, 1791 unterzeichnete der polnische König die erste moderne Verfassung Europas, 1848 die Märzrevolution in Deutschland, 1918 Gründung der Republik Deutsch-Österreich, 1919 Erarbeitung der Weimarer Verfassung. In einer Zeit, in der sowohl Gott als auch Kaiser und Königinnen ins Straucheln gerieten, bildeten sich zugleich das Klassenbewusstsein und das Bildungsbürgertum heraus, Rechte für Arbeiter:innen, das allgemeine Wahlrecht, ab dem 20. Jahrhundert auch für Frauen (in Österreich seit 1918). Was von zahlreichen Klassikern der Moderne wie von Hofmannsthal, von Doderer, Bahr, Schnitzler, Torberg, Broch, Roth, Perutz, Musil, Trakl, Polgar so detailreich und treffend beschrieben wurde, war ein Zustand der Auflösung, der Fragmentierung, der Identitätskrisen, nicht (nur) durch den spürbaren und augenscheinlichen Zerfall der Monarchie(n), sondern durch den Wegfall von Autoritäten, Glaubensinhalten, ganzer jahrhundertealter Denk- und Herrschaftsmodelle. Nicht die Monarchie hat sich aufgelöst, sondern ein ganzes Denksystem von Ordnung und Unterordnung, eine hierarchische Pyramide wurde zum Grabmal der Monarchien. In diesem Auflösungsprozess keimten im Untergrund zugleich nationalistische Theorien auf – Vorboten der faschistisch-rassistischen Ideologien, die uns den menschlich verheerendsten Krieg bescherten – die neue Ordnungen und Unterordnungen schufen. Die verlorenen Schafe Gottes durften eigene Ordnungen schaffen, die Pyramide der Macht nach unten hin beliebig erweitern. Nur nicht selbst das letzte Glied in der Nahrungskette sein. Wenn es wen über uns gibt, muss es auch jemanden unter uns geben. Dabei wären wir immer unter uns gewesen.
Es gibt diese Zeiten, in denen etwas zu Ende geht, Denksysteme, Glaubenssysteme, Herrschaftsstrukturen, und das, was am Entstehen ist, hat noch keine Richtung eingeschlagen, keine Form angenommen. Das ist der höchste Grad an Freiheit und Selbstbestimmung, die maximale Potentialität, uneingeschränkte Wahlmöglichkeit. Für viele ist es der absolute Nullpunkt: keine Orientierungshilfen, keine Gehhilfen, keine Anhaltspunkte. Wäre die Menschheit intelligent genug, hätten wir zweimalig – vor und nach beiden Weltkriegen – die Gelegenheit gehabt, mit den Denkwerkzeugen der Aufklärung auf dem Schutt und der Asche unserer Vorfahren eine Welt aufzubauen, die auf dem Fundament der zivilisatorischen Errungenschaften der Industrialisierung und Moderne gestaltet hätte werden können. Etwas, das von unten gebaut wird, aus dem sich dann ein Oben ergibt. Es hätte viel Mühen, Geduld und Anstrengungen gekostet, vieler Diskussionen, vieler Kämpfe, vieler Denkarbeit, Dankbarkeit und Vertrauen bedurft. Von den 1960-ern bis Anfang der 90-er hat es auch irgendwie und zumindest in unseren Breitengraden funktioniert – trotz aller Verschiedenheiten, trotz aller Weltanschauungsunterschiede. Dann begann immer mehr die Angst zu regieren, Angst vor der Unbestimmtheit, Angst vor dem Unbekannten, Angst vor der Verantwortung selbst zu bestimmen, wer man sein will, was man will und was man sich erwartet. Das ist die Zeit, in der der Abschaum an die Oberfläche tritt, immer mehr wird, immer lauter, uns einredet, indoktriniert, dass der Schaum weiß ist, weil er weiß, weil er die Weisheit seit Kindestagen an mit dem Löffel gefüttert bekam und sie nun austritt, rauswürgt, bis sie Schaum vorm Mund wird, bis sie übertritt ins Andere und dort vertreten wird. Verdrehte Worte. Vor Angst uns selbst.
Es stellt sich die Frage der Demokratie: Wenn die Macht beim Volk ist und die Menschen Angst vorm Regieren haben, weil sie sich selbst nicht regieren, gestalten, bestimmen können, weil sie Angst vor der Freiheit haben, das zu sein, was sie werden und alle Entscheidungen abtreten, sich und andere in ihrem Raum begrenzen lassen, sich überwachen und ausleuchten lassen, ist dann die Wahl von Autokraten und das Ende der Demokratie auch demokratisch? Das ist der große Unterschied zwischen (immerwährender) Demokratisierung (der Gesellschaft) und Demokratie.
Danke für die Lektion in…
Danke für die Lektion in Demokratie Geschichte
Wie wär’s mit einer Lektion über die katastrophalen Folgen der monotheistischem Religionen in der Menschheitsgeschichte und den Segnungen eines Religionsvwrbotes!!
Pauli