Was haben Architektur und Sprachen gemeinsam? Dass mit ihnen für Menschen und ihre Umgebung wichtige Dinge gebaut werden können: ein Zuhause, eine Beziehung, Umgebungen, Verträge. Ganz kurz gegriffen ließe sich jetzt sagen: Und das war es dann auch schon wieder mit den Gemeinsamkeiten. Jedenfalls muss ich als Dolmetscherin und Journalistin an dieser Stelle zugeben, dass sich mein Verständnis von Architektur bislang auf ihre Rolle für den Häuserbau und die Raumplanung (Stichwort Urban Planning, Green City) beschränkt hat. Dank eines Freundes, der an einem Kurs seines Architekturstudiums über moderne Kunst wie z. B. Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ schier verzweifelt ist, weiß ich auch, dass es viele Berührungspunkte zwischen Kunst und Architektur gibt. Mir ist auch aufgefallen, dass Architektur identitätsstiftend sein oder Macht ausdrücken kann: Es gibt zum Beispiel typische Baustile für Paris und Tirol. Und ein prunkvolles Schloss wie Versailles imponiert dem Volk, ein schlichter Gebäudeblock weniger.
Der langen Rede kurzer Sinn: Ich bin eine Laiin und kenne Architektur als solches zwar, wusste aber bis vor kurzem nicht, dass es überhaupt einen Diskurs gibt. Das ist eigentlich recht ironisch, da die meisten Menschen in Häusern leben und von Architektur umgeben sind. Wie so oft rückt ein Thema wohl erst dann ins Bewusstsein, wenn es irritiert oder fasziniert – wie etwa der Plan für einen neuen Gasthof an einem idyllisch gelegenen See in meiner Heimatregion im ländlichen Tirol. Statt eines Gebäudes im klassischen Tiroler Stil soll ein moderner Neubau mit Flachdach errichtet werden. Ich durfte die Kontroverse für eine Regionalzeitung mitverfolgen und gewann dadurch richtig interessante Einblicke zur Architektur und den Perspektiven dazu; sozusagen zum Diskurs zwischen Einheimischen, der Politik und Fachleuten. Gerade der Architekt, dessen Projekt unter Beschuss stand und der mitunter für Zaha Hadid gearbeitet hatte, erklärte mir viel zu seiner Arbeit: Die Gebäudeform soll sich an die Landschaft schmiegen, die Verwendung von Naturmaterialien aus der Gegend ist vorgesehen, die Landschaft soll durch große Fenster und eine Terrasse in Szene gesetzt werden. Die Politik stimmte dem zu und befand das Projekt als modern, innovativ und landschaftlich passend. Das sahen nicht alle so. Ich darf den Facebook-Kommentar eines Einheimischen (anonym) einfügen, der das Sentiment vieler widerspiegelte:
"Es ist immer das Gleiche von den Architekten, ,es fügt sich harmonisch in die Landschaft ein‘ – aber bei diesem Projekt sollte man das Gebäude am liebsten harmonisch in den See gleiten lassen. [...] Es hätte eine klare Ansage an die Architekten geben müssen, dass im Stil des alten Gebäudes geplant werden soll, es wäre der Charakter, der in die Landschaft passt. (Für mich sieht die Planung nach einem Scheißhausdeckel aus.)"
Irgendwo tut das selbst mir als Nicht-Architektin weh. Aber es ist schon auch ganz witzig und interessant. Immerhin wurde eine Art regionaler Diskurs losgetreten und dort Interesse an Architektur geregt, wo sie vorher nicht Thema war. Rückblickend fällt mir auf, dass es noch mehr Gemeinsamkeiten zwischen Architektur und Sprache gibt: Beide können Missverständnisse auslösen und ringen mit Fragen der Kommunikation. Und der zeitgenössische Architekturdiskurs hat ein Kommunikationsproblem. Einerseits scheinen nur Fachleute oder akademische Kreise überhaupt von diesem Diskurs zu wissen, andererseits tragen weder sie noch Architekt*innen selbst ihn an die Öffentlichkeit, außer auf explizite Nachfrage hin.
Das hat zur Folge, dass neue Entwicklungen oder Ideen sowie das Potenzial, das Architektur als tragende Disziplin für menschliche Lebensräume und Gemeinschaften hat, auf Unverständnis stoßen oder gar verloren gehen. Das hängt natürlich von genereller Dialogbereitschaft und gegebenenfalls einer Offenheit für Neues ab, die in meinem Tiroler Beispiel eher in geringerem Ausmaß gegeben war. Wobei gerade der Mangel dieser Offenheit auch auf einen Mangel an Information und Kommunikation hinweisen kann. Häufig erscheint es mir so, dass die Architektur erst dann zum Thema der breiten Öffentlichkeit wird, wenn man wortwörtlich schon vor vollendeten Tatsachen – sprich: Gebäuden – steht. Das Tiroler Gasthausprojekt wurde beispielsweise von Gemeindevertreter*innen, dem Land Tirol und einer Expertenjury ausgewählt – und dann öffentlich vorgestellt. Die Folge: Die Bevölkerung beklagte sich über fehlendes Mitspracherecht und unklare Kommunikation, eine Volksbefragung wurde initiiert, das Projekt pausiert.
Der Architekturdiskurs der Zukunft muss also vorher und vor allem bei grundlegenden Fragen ansetzen: Was ist überhaupt gute oder schöne Architektur? Was kann Architektur leisten, außer Häuser zu planen? Wie kann Architektur ihren physischen und auch diskursiven Platz in einer Gemeinschaft finden? Was sind die Vorstellungen von Architekt*innen und Fachfremden zu konkreten Projekten oder Bauvorhaben? Die Beantwortung solcher Grundsatzfragen ist das, was es in jeder Disziplin braucht, um eine Brücke zwischen einem Fachgebiet und anderen Gebieten, Interessensgruppen und der Gesellschaft schlagen zu können. So wird die Definition von „guter“ oder „schöner“ Architektur etwa weder unter Architekt*innen noch bei Fachfremden einheitlich ausfallen. Dabei kann ein Dialog genau dazu als Grundstein für gesellschaftsbildende Architektur und einen lebendigen Diskurs dienen. Das können zwar auch eine Kontroverse oder ein besonders ausgefallenes Gebäude (z. B. das Grazer „Friendly Alien“) leisten, jedoch nur stark auf ein konkretes Beispiel bezogen und nicht auf lange, allgemeingesellschaftliche Sicht. Damit der Diskurs also niederschwelliger, interdisziplinärer und präsenter werden kann, bräuchte es wohl mehr und vor allem breiter angelegte Events (Workshops, Schulbesuche, Podiumsdiskussionen, Gespräche, architektonische Stadtführungen usw.) oder innovative Formate, die sich auch für Fachfremde eignen (Videos, Kunstprojekte, Musik o. Ä.). Nicht, dass es das nicht schon geben würde. LAMA ist in der Hinsicht beispielsweise ein sehr gutes Projekt, da es verschiedenste Perspektiven und Menschen um das Thema Architektur zusammenbringt. Andererseits ist das Magazin selbst auch noch fest in der architektonischen Bubble (plus deren Freundschaftskreis) verankert. Diese zu durchbrechen ist schwierig. Aber gerade angesichts wachsender Bevölkerungszahlen oder auch dem steigenden Bedarf für innovative architektonische Lösungen in der Stadtplanung und in Sachen Nachhaltigkeit spielt die Architektur der Zukunft und damit auch der Diskurs dazu eine große Rolle. Dabei muss er nicht nur sein Kommunikationsproblem überwinden, sondern auch wandelbar und zukunftsfähig sein. Um an dieser Stelle einerseits nochmal die Kunst, andererseits Tiroler Gedanken aufzugreifen: Marcel Duchamps „Fountain“ (Urinal oder wohl auch „Scheißhaus“) löste schon vor 100 Jahren Kontroversen aus. Heute ist es Kunst. Und die Zukunft fängt schon heute an!
Diskurs
Als Experiment: "Der Diskurs der Zukunft muss also vorher und vor allem bei grundlegenden Fragen ansetzen: Was ist überhaupt gute oder schöne Sprache?". Hmm.
Antwort auf Diskurs von Bernhard Maurer
Nicht nur das Äußere..
Diese Frage wird nie jemand beantwortet können, was generell schön ist und was nicht. Aber man kann beantworten was gut ist, hinsichtlich Kontext, Funktionalität, Materialien, Landschaft, Nachhaltigkeit usw.. es muss nicht nur das „Äußere“ sein. Und das gilt es von der Architektenschaft zu vermitteln, was unser Mehrwert ist.