08/03/2022

Wolkenschaufler_56

Papiermaschine

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

08/03/2022

Sujet Kolumne "Wolkenschaufler"

©: Zita Oberwalder

Gottfried Hattinger: Maschinenbuch. Eine Sammlung zur Kunst- und Kulturgeschichte der Apparate. Scheidegger & Spiess 2021. 631 Seiten, 825 teils farbliche Abbildungen. Euro 39,10 - ISBN 978-3-03942-029-2

©: Scheidegger & Spiess

Um der Anhäufung von Prüfungsstoff entgegen zu halten, pflegten wir zu Schulzeiten gewisse Lehrer während des Unterrichts in Gespräche zu verwickeln, deren Inhalte das Curriculum zwar streiften, von denen wir aber sicher sein konnten, nie mehr danach befragt zu werden. Das oft erfolgreiche Prozedere nannten wir „Zeit schinden“.
Gesprächsbereit zeigte sich immer wieder der Lehrbeauftragte im Fach Maschinen- und Anlagenbau, dem wir einmal die vermeintlich schlichte Frage stellten: „Herr Professor, was ist eigentlich eine Maschine?“
Für einen Augenblich zeigte sich der Meister konsterniert. Nach einer Kunstpause folgte der durch Gesten unterstützte Versuch einer Antwort. 

– „Eine Maschine – … – “, und dabei führte er mit seinen Unterarmen umeinander drehende Bewegungen vor, „die geht so!“

Aha.

– „Und, Herr Professor, was ist dann ein Apparat?“

– „Ein Apparat – … –, macht nix und wird warm.“ Okay, wir hatten die Birne aus der Fassung gedreht. Der weitere, erkenntnisarme Verlauf des Disputs ist nicht der Rede wert. Wir hatten aber eine Gesprächsmaschine gestartet, deren Betrieb so gut wie unterrichtsfreie Zeit in Anspruch nahm.

Bei ungebrochener Faszination an im weitesten Sinn Werkzeugen, die etwa Ernst Kapp 1877 als „Organprojektionen“ bezeichnete oder McLuhan 1964 als „Erweiterung des Menschen“, die jedenfalls menschliches Vermögen substituieren, auslagern, qualitativ und quantitativ vergrößern, bleibt eine grundlegende Definition dessen, was wir gemeinhin als „Maschine“ bezeichnen, eher dem „Mythos“ (Lewis Mumford, 1967) verhaftet. Ein Prinzip für das Ding wäre vielleicht noch das Revolvieren, die stetige Wiederholung eines Ablaufes, nämlich mechanisch, elektronisch oder hypothetisch wie bei Alan Turings „Papiermaschine“: Man notiere eine Reihe kurzer Anweisungen auf ein Blatt Papier und übergebe zur Ausführung an einen Arbeiter. Solches wiederum wird mittlerweile auch als „Programm“ bezeichnet. Eine Maschine handelt also ein Programm ab, hypothetisch immer wieder.

Weltmaschine nun heißt eine Ausstellung im Linzer OK (Offenes Kulturhaus Oberösterreich), die noch bis zum 15. Mai zu sehen ist. Zum 450. Geburtstag von Johannes Keppler hat Kurator Gottfried Hattinger eine Schau mit 17, von internationalen Künstlerinnen und Künstlern entwickelten Maschinen eingerichtet. Teils an wissenschaftlich technischen Erkenntnissen ausgerichtet, teils in ihren Funktionen schlicht absurd anmutende Vorrichtungen drehen sich hier etwa um ein „Weltgeheimnis“ oder sind Assoziationen um mikroskopische Versuche zwischen fiktiver Literatur und physikalischem Wissen. Oder, beispielsweise, Sigmar Polkes an Planetenmodelle erinnernder Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann von 1969. Und hier endet meine Vorrede, denn Gottfried Hattinger selbst ist es, der ein Meisterwerk publiziert hat, das nun „zur Ausstellung“, wie es im Pressetext heißt, erschienen ist, diese aber hinsichtlich Inhalts und Umfangs weit überragt.

Maschinenbuch ist ein nicht weniger als enzyklopädisch angelegtes Kompendium einer „Sammlung zur Kultur- und Kunstgeschichte der Apparate“. Auf über 600 Seiten, annähernd im Format eines Bandes aus Meyers Konversations-Lexikon, beschreibt der Autor erdachte, existierende und historische Konstruktionen technischer und künstlerischer Entwicklungen zum weit gefassten Thema Maschine. In zwölf großen Kapiteln, ausgehend von der „Gottesmaschine“ über Kraft- und Menschmaschine, „Denk-“ und „Theater-“ bis zur „Kunstmaschine“ handelt Hattinger ein Programm der Apparate von der Antike bis in die Gegenwart ab. Gleich eingangs wird da der Deus ex machina per mechane aus der skene eingeflogen. „Thronmaschinen“ folgen und die „Automatisierte Messe“, in der bewegliche Engel, frühe Automaten, die Mechanisierung des Unerklärlichen einleiten. Unter „Konversionsmaschinen“ stoßen wir auf die Ars magna des Theologen Raimundus Lullus aus dem 13. Jahrhundert. Ein Scheibenapparat ermöglicht die Kombination der Attribute Gottes und könnte als ein Vorläufer unserer Suchmaschinen interpretiert werden. In dieser Abteilung beispielsweise auch das Leserad, das Agostino Ramelli 1588 beschreibt und das vergleichendes Lesen in aufgeschlagenen Codices mittels drehender Vorrichtung ermöglicht.

Schießpulver und Explosionsmaschinen führen zur Erfindung des Verbrennungsmotors, die Rechenmaschinen von Schickard, Leibniz bis Babbage bereiten den Computer vor, John von Neumann wird später die entscheidenden Entwicklungen vorgeben.

Sprechmaschinen, und natürlich auch sein mechanischer Schachspieler, des Wolfgang von Kempelen, stehen im 18. Jahrhundert für die Entwicklung der Synthesizer und aus den von Uhrwerken bewegten Androiden des Barock führt der Weg in die Erfindungen des Roboters und weiter in die elektronische Nachbildung des Menschen.

Die in diesem Band ausgebreiteten und abgebildeten Hunderte von Apparaten sind jeweils in aufschlussreichen Beschreibungen erläutert und durchwegs begleitet von Beispielen bildender Künstlerinnen und Künstler, bis im abschließenden Kapitel ausführlich von Maschinen im Bereich der bildenden Kunst die Rede ist, darin etwa Jean Tinguely, die italienischen Kinetiker oder die Maschinen der legendären US-Formation Survival Research Laboratories. Letztere hatte Gottfried Hattinger als Kurator im Steirischen Herbst 1992 zu einer Maschinen-Performance nach Graz gebracht.

Müßig nun, die hier eingangs genannte Frage auch Hattinger zu stellen. Für mich wäre es interessanter zu erfahren, wie – und in welcher Zeit – Gottfried Hattinger es geschafft hat, diese Unmenge an Wissen um Maschinen zu kompilieren. Ist denn der Hattinger selbst eine – … – Programmanweisung: goto papiermaschine

 

Laukhardt

Meine Lateinerfolge im Gymnasium waren meist bescheiden. Aber wer konnte es mir verübeln, dass ich "Deus ex machina" mit "Gott aus dem Auto" übersetzte. Von der Theatermaschine wusste ich nichts, aber aus meinem alljährlichen Sommerdomizil in Triest kannte ich die "macchina" in Gestalt eines Fiat Topolino mit Holzaufbau, in der mich ein Onkel nach Santa Croce zu seiner "barca" mitnahm. Noch nicht 15, lernte ich dann bald, diese Maschine selbst zu bedienen, d.h. zu starten, zu lenken und abzuwürgen. Putti la frizion! klingt es noch in meinen Ohren, wenn Mario "kuppeln" meinte. Erst heute weiß ich, dass "machina" bei den Römern eigentlich nur ein Hebel war; hatten sie es wirklich nur bis zur Handbremse gebracht?.... Ein hoffentlich etwas erheiternder Kommentar in einer traurigen Zeit, in der alle Hebel bewegt werden müssen, um doch noch Frieden zu stiften.

Di. 08/03/2022 10:00 Permalink
Tschavgova

Antwort auf von Laukhardt

Die für mich tollste - weil außergewöhnlichste - Erfahrung mit künstlerischen Maschinen war die Möglichkeit, mit den Sehmaschinen von Alfons Schilling die Welt völlig anders, verdreht und mit verkehrtem Nähe- und Distanzempfinden zu erleben. Und das sogar ohne Hebel, nur durch den raffinierten Einbau von Prismen. Ich habe dies anlässlich einer Vorlesung von Schilling an der Angewandten 1986/87 gelernt, ausprobiert im Stadtpark in Wien, aber das MUWA in Graz hat meiner Erinnerung nach auch so eine Maschine von Schilling in seinem Besitz. Wenn ja, dann sollte die auch öfter hervorgekramt werden, diese Erfahrung prägte mein Leben mit.

Mi. 09/03/2022 12:06 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+